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Setzt Putins Terrorstaat auf die Schwarze Liste

KIEW – Die Welt wird derzeit Zeuge, wie sich in der Ukraine eine humanitäre Katastrophe entfaltet. Wladimir Putin führt einen rücksichtslosen Krieg gegen die ukrainische Zivilbevölkerung. Die verheerende Belagerung Mariupols durch russische Streitkräfte einschließlich der vorsätzlichen Bombardierung einer Kinder- und Entbindungsklinik ist Teil eines Musters. Sie ist, wie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagt, ein weiterer Beleg, dass in unserem Land ein Völkermord stattfindet.

Mehr als 2100 Menschen sind seit Beginn der Invasion allein in Mariupol getötet worden. Landesweit haben russische Truppen in der Ukraine hunderttausende Menschen als Geiseln genommen; sie hindern sie, ihre Städte zu verlassen, während sie diese wahllos und ohne Vorwarnung bombardieren. Schätzungsweise 2,8 Millionen Menschen sind aus dem Land geflüchtet, und Millionen weitere mussten ihrer Häuser verlassen und anderswo Unterschlupf suchen. Menschen stehen tagelang an der Grenze an, und viele haben Schutz bei Nachbarn oder Fremden gesucht. Tausend Städte und Gemeinden sind ohne Heizung, Strom oder Wasser. Es gibt Berichte, dass die Menschen aus Pfützen trinken und Kinder an Flüssigkeitsmangel sterben.

Während Putins 22-jähriger Herrschaft hat Russland wiederholt gehandelt, ohne Konsequenzen zu erleiden, und die Welt mit der stillschweigenden Drohung eines nuklearen Gegenschlags erpresst. Die internationale Gemeinschaft hat zugesehen, wie Putins Regime Tschetschenien und Georgien mit derselben Art von Verbrannte-Erde-Kampagnen verheert hat, die er nun in der Ukraine verfolgt, wie er illegal die Krim annektiert hat und hybride Kriege gegen Länder weltweit geführt hat. Das vom Kreml unterstützte Regime in Syrien hat 90 % der Bevölkerung des Landes in Armut gestürzt; laut den Vereinten Nationen benötigen 14,6 Millionen Syrier (von einer Gesamtbevölkerung von 17,5 Millionen) humanitäre Hilfe. Und nun ist die Ukraine zum verbeulten Schutzschild des Westens gegenüber Putin geworden.

Angesichts eines in Trümmern liegenden internationalen Sicherheitssystems und immer neuen Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht braucht die Ukraine nun dringendst Waffen und Raketensysteme zur Sicherung des Luftraums. Doch zusätzlich zu militärischer, wirtschaftlicher und humanitärer Unterstützung braucht sie verzweifelt noch etwas anderes: dass die Welt Putin durch rechtliche Maßnahmen weiter isoliert.

Der Ausschuss für Korruptionsbekämpfung des ukrainischen Parlaments hat daher die Financial Action Task Force on Money Laundering (FATF) aufgefordert, die Russische Föderation auszuschließen und auf ihre Schwarze Liste der Hochrisikoländer zu setzen. Als mit der Bekämpfung von Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche betraute internationale Organisation könnte die FATF internationale Transaktionen mit Russland unmöglich machen und daher den Kriegsmotor des Landes ins Stocken bringen. Doch selbst angesichts von Verbrechen wie in Mariupol bleibt die FATF bisher untätig.

Die FATF wurde 1989 von der G7 ins Leben gerufen, um die rechtlichen und regulatorischen Maßnahmen gegen Bedrohungen des Weltfinanzsystems durch Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu koordinieren. Die Organisation hat 39 Mitglieder, darunter auch die Russische Föderation, und mehr als 200 Länder haben sich verpflichtet, die FATF-Empfehlungen zu übernehmen. Zu ihren Kernverantwortlichkeiten dieser Länder (die in den 40 Empfehlungen und neun Sonderempfehlungen der FATF skizziert sind) gehört es, „die Terrorismusfinanzierung und damit verbundene Geldwäsche“ strafrechtlich zu verfolgen und „terroristische Vermögenswerte“ zu beschlagnahmen und einzuziehen.

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Unter anderem ermittelt die FATF Länder, die durch schwache Durchsetzung der Regeln gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung eine Bedrohung für das internationale Finanzsystem darstellen, und setzt sie auf eine Liste von Hochrisikoländern. Russland wurde im Jahr 2000 wegen wiederholter Versäumnisse, die internationalen Maßnahmen gegen Geldwäsche einzuhalten, auf die Schwarze Liste gesetzt und 2002 wegen Fortschritten bei der Regeleinhaltung wieder von der Liste gestrichen. Angesichts der Menge an Informationen über Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung durch die russische Regierung sind inzwischen alle erzielten Fortschritte hinfällig.

Und machen wir uns nichts vor: Die Aktivitäten Russlands in der Ukraine stellen Terrorismus dar. Die sogenannte Volksrepublik Donezk und die sogenannte Volksrepublik Luhansk verüben seit acht Jahren Terrorismus, und das unter direkter russischer Kontrolle. Im Juli 2014 wurde der Flug Nr. 17 der Malaysia Airlines über der Ukraine von einer russischen Buk-Rakete getroffen; 298 Fluggäste und die Crew kamen dabei ums Leben. Die niederländische Staatsanwaltschaft hat deswegen drei Russen (Igor Girkin, Sergej Dubinski und Oleg Pulatow) und einen Ukrainer (Leonid Chartschenko) des Mordes angeklagt.

Seit Beginn des russischen Einmarschs in der Gesamt-Ukraine am 24. Februar gab es zahllose Angriffe auf Zivilisten. Dazu gehören Raketenangriffe auf Wohngebäude, Krankenhäuser, Kitas und Pflegeheime in Kiew, Charkiw, Sumy, Tschernihiw und anderen Bevölkerungszentren. Russische Truppen haben sogar die Kernkraftwerke Tschernobyl und Saporischschja und den Kiewer Stausee angegriffen und dabei außergewöhnliche Rücksichtslosigkeit an den Tag gelegt. All diese Handlungen fallen unter die Definition von Terrorismus. Sie sind darauf ausgelegt, Russlands politische Ziele durch Tötung, Verstümmelung und Einschüchterung der Zivilbevölkerung zu fördern.

Russland hat damit sowohl gegen das Internationale Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (1999) als auch das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen (2005) verstoßen. Die Resolution 1373 des UN-Sicherheitsrates (2001) verlangt, dass alle Staaten die Finanzierung terroristischer Handlungen unterbinden, doch in Luhansk und Donezk finanziert Russland diese selbst.

Unter diesen Umständen ist Russlands fortgesetzte Mitgliedschaft in der FATF ein weiterer Affront gegen das Völkerrecht. Der Präsident der Organisation, Marcus Pleyer, und die Regierungen der G7 sollten Schritte einleiten, um Russland auszuschließen und auf die Liste der Hochrisikoländer zu setzen. Diese sind definiert als Länder „mit ernsten strategischen Mängeln bei der Bekämpfung von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und der Finanzierung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen“.

Die FATF hat bisher ihre „große Besorgnis“ über die Situation in der Ukraine geäußert und angedeutet, dass sie die Rolle Russlands intern „überprüft“. Doch ihre nächste Sitzung ist für Juni angesetzt, und sie scheint an diesem Zeitplan festhalten zu wollen. Diese Untätigkeit läuft auf eine Unterstützung für Putin hinaus. Internationale Übereinkommen sind wertlos, wenn sie nicht zeitnah angewandt und durchgesetzt werden.

Eine der großen ungelernten Lehren der Geschichte ist, dass Appeasement nicht funktioniert. Mein Großvater ist 93, und er weigert sich, Kiew zu verlassen. Er war noch ein Junge, als die Nazis die Stadt 1941 eroberten. Welchen Zweck hat es, 80 Jahre lang „nie wieder“ zu sagen, wenn man nicht bereit ist, zu handeln, wenn die Stunde der Wahrheit kommt? Das Mindeste, was der Westen tun könnte, ist, Putin für seine vorsätzlichen Angriffe auf zivile Ziele zur Rechenschaft zu ziehen. Ein entschiedener Schritt seitens der FATF wäre ein guter Anfang.

Die Welt schaut zu. Der russische Außenminister Sergei Lawrow hat die Kritik an der Bombardierung des Krankenhauses in Mariupol als „erbärmlich“ bezeichnet. In gewisser Weise hat er Recht. Auf derartige Verbrechen nur mit Worten zu reagieren ist erbärmlich. Der Westen muss mehr tun, um sicherzustellen, dass „nie wieder“ noch etwas bedeutet.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/SiWrKfHde