Die Bekehrung Bernard Kouchners

Die Ernennung Bernard Kouchners zum französischen Außenminister war ein brillanter politischer Schachzug des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Nachdem er seine sozialistische Konkurrentin Ségolène Royal besiegt hatte, entschied sich Sarkozy, die Krise der Sozialisten weiter zu vertiefen, indem er in seine Regierung mehrere Politiker aufnahm, die seit langem mit der gemäßigten Linken in Verbindung gebracht werden. Sarkozy überredete zwei Frauen mit Einwanderungshintergrund – Rama Yade und die bekannte feministische Aktivistin Fadela Amara –, Positionen unterhalb des Kabinettsrangs zu akzeptieren, und Kouchner selbst ist seit mehreren Jahren die populärste politische Figur Frankreichs.

Kouchners Beliebtheit ist schwer zu erklären. Obwohl seit Jahrzehnten in der Politik, hatte er seit seiner Zeit als Staatssekretär im Gesundheitsministerium unter dem früheren sozialistischen Ministerpräsidenten Lionel Jospin kein Regierungsamt inne. Doch ob durch die Kraft seines Intellekts und seiner Begabung, wie er selbst und seine Anhänger sagen, oder durch sein Genie dabei, für sich selbst Reklame zu machen, wie viele Kritiker behaupten: Kouchner hat es geschafft, im Rampenlicht zu bleiben, gleichgültig, wer in Frankreich Präsident oder Ministerpräsident war.

Aber seine Zeit lief ab. Kouchner – er war Mitbegründer der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“, von der er sich später trennte, um eine zweite humanitäre Organisation, „Ärzte der Welt“ zu gründen, und Administrator des Kosovo, als dieser nach dem Krieg der NATO gegen Serbien UNO-Protektorat wurde – ist inzwischen 67. Bei realistischer Betrachtung war Sarkozys Einladung vermutlich seine letzte Chance, eine bedeutende politische und internationale Rolle zu spielen.

Doch welche Art von Rolle? Kouchner kann nicht für sich in Anspruch nehmen, das so genannte „Droit d’ingerence“ – auf Deutsch in etwa: Interventionsrecht – erfunden zu haben. Diese Ehre gebührt dem italienischen Rechtstheoretiker Mario Bettati. Aber Kouchner ist sein bekanntester Verfechter. Seit den 1970er Jahren hat er argumentiert, dass Staaten eine Verpflichtung hätten, diktatorische Regierungen an den schlimmsten Menschenrechtsverstößen gegenüber ihren Bevölkerungen zu hindern. Zwar hat Kouchner nie bestritten, dass die staatliche Souveränität die Grundlage des internationalen Systems ist, doch er beharrte darauf, dass dies keine Lizenz zum Töten beinhalten könne.

Seine Worte waren beredsam und fanden Widerhall bei verantwortungsbewussten Menschen überall in Europa. Man kann wohl behaupten, dass das „Droit d’ingerence“ die Inspiration für einen Großteil der so genannten „humanitären Interventionen“ der 1990er Jahre auf dem Balkan und in Afrika war. Kouchners Haltung schaffte außerdem die Voraussetzungen dafür, dass sich die UNO unter Generalsekretär Kofi Annan die noch stärker interventionistische Doktrin der „Responsibility to Protect“ – dem Ruf nach dem Einsatz militärischer Gewalt von außen zur Verhinderung von Völkermord oder weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen – zu Eigen machte.

Kouchner war während seiner gesamten Karriere über konsequent. Seine Vision humanitären Handelns war eine, bei der Hilfe nicht nur Ziel per se ist – was der traditionellen Sicht des Roten Kreuzes, wonach die Vertreter des humanitären Gedankens die schlimmsten Auswirkungen von Kriegen und Naturkatastrophen lindern sollten, entspricht –, sondern auch ein Mittel, um Unrecht zu bekämpfen. Dies ist ein grundlegender Unterschied.

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Während die Sichtweise, wie sie vom Roten Kreuz vertreten wird und von Kouchners ehemaligen Kollegen bei „Ärzte ohne Grenzen“ übernommen wurde, darauf besteht, dass humanitäre Maßnahmen eine lebenswichtige, aber begrenzte Tätigkeit seien, die nur dann in sich schlüssig und wirksam sein könnten, wenn sie sich ihrer Grenzen bewusst seien, vertritt Kouchner die Ansicht, dass humanitäre Maßnahmen ein Hebel seien, um damit die Welt zu ändern. Alles andere sei eine Missachtung moralischer Verpflichtungen.

Praktisch bedeutet dies, dass, während Rotes Kreuz und „Ärzte ohne Grenzen“ an Neutralität glauben und skeptisch gegenüber den Motiven von außen intervenierender Staaten bleiben, Kouchner humanitäre Maßnahmen als Teil dessen versteht, was der kanadische Schriftsteller und Politiker Michael Ignatieff als „Revolution der Teilnahme“ bezeichnet hat. Gravierende Menschenrechtsverletzungen, ethnische Säuberungsaktionen und Völkermord wären damit nicht länger hinnehmbar. Wenn sie sich ereigneten, stünden Staaten bereit, um zu intervenieren und ihnen ein Ende bereiteten – wenn möglich, mit friedlichen Mitteln, doch wenn nötig auch mit Gewalt.

Die häufig unausgesprochene logische Folge dieser Doktrin ist der Regimewechsel. Dies ist es, was Aktivisten wie Kouchner in Ruanda und im Kosovo wollten – ob sie es anderen oder auch nur sich selbst eingestanden oder nicht. Dies erklärt vermutlich, warum Kouchner als eine von wenigen bedeutenden politischen Figuren Frankreichs (anders als Sarkozy) den Sturz Saddam Husseins durch Amerikaner und Engländer unterstützte. Nach dem Debakel im Irak überrascht es, dass ein Mann, dem der Regimewechsel in die DNA graviert ist, eine derart zentrale Position innerhalb der französischen Regierung einnehmen kann.

Vielleicht haben wir weniger aus den Vorgängen im Irak gelernt, als man hätte hoffen mögen. Um Sarkozy Gerechtigkeit walten zu lassen: Seine Motive bei der Ernennung Kouchners hatten mehr damit zu tun, seine sozialistischen Gegner auf dem falschen Fuß zu erwischen, als mit „Droit d’ingerence“. Und Kouchner selbst hat sich – zur zynischen Belustigung der französischen Presse – radikal von seinem Beharren auf einer sofortigen Intervention zum Schutz der Flüchtlinge und Vertriebenen in Darfur vor weiteren Gemetzeln durch die von der sudanesischen Regierung unterstützte Janjawid-Miliz verabschiedet. Das waren die Forderungen des Aktivisten Kouchner. Der Außenminister Kouchner beruft internationale Konferenzen ein und spricht davon, Kontaktgruppen einzurichten, und von der Notwendigkeit wohlüberlegten Handelns.

Dies sollte niemanden überraschen. Trotz einiger fieberhafter Erklärungen Kouchners und anderer Menschenrechtsaktivisten neigen Staaten nicht zu altruistischem Verhalten, und die Wähler haben es allgemein nicht gern, wenn ihre Söhne und Töchter in altruistischen Kriegen töten und getötet werden. Tatsächlich dürfte Kouchners Ernennung zeigen, wie vergeblich die Hoffnung auf humanitäre Interventionen immer schon war.

Dies ist nicht notwendigerweise schlecht. Kouchner wollte immer schon Minister werden. Nun, da er es geworden ist, können die Hilfsorganisationen vielleicht wieder zu ihrer lebensnotwendigen, aber eben nicht weltverändernden Arbeit zurückkehren.

https://prosyn.org/SFLp4CGde