An employee works at a desalination plant SAID KHATIB/AFP/Getty Images

Wo das Wasser herkommt

HAMILTON, KANADA – In vielen Teilen der Welt stehen einfach keine weiteren Süßwasser-Ressourcen zur Verfügung, um den wachsenden Bedarf zu decken. Neben der Dämpfung des Wirtschaftswachstums bedroht der Mangel an ausreichenden Süßwasser-Ressourcen das Wohlergehen von Milliarden Menschen, weil er Konflikte, Unruhen und Migration schürt. Die einzige Möglichkeit, dieser Herausforderung beizukommen, besteht darin, Planung und Management von Wasserressourcen radikal zu überdenken und den Schwerpunkt dabei auf die kreative Nutzung unkonventioneller Quellen zu legen.

Dafür steht eine große und wachsende Zahl unkonventioneller Süßwasserquellen mit massivem Potenzial zur Verfügung, beginnend mit entsalztem Meerwasser oder stark brackigem Grundwasser. Bereits jetzt gibt es 18.000 Entsalzungsanlagen in über 100 Ländern, mit denen ungefähr 32 Milliarden Kubikmeter Süßwasser gewonnen werden – etwa ein Drittel des Volumens, das pro Jahr die Niagarafälle passiert.

Etwa 44 Prozent der weltweiten Wasserproduktion aus Entsalzung entfallen auf den Nahen Osten und Nordafrika, wobei auch in Asien, den Vereinigten Staaten und Lateinamerika neue Anlagen entstehen. Die weltweiten Kapazitäten zur Entsalzung steigen jährlich im Schnitt um 7-9 Prozent an.

Jüngste Studien zeigen, dass die Bewässerung mit entsalztem Wasser zwar kostspieliger ist als mit herkömmlichem Süßwasser, doch diese Kosten sind rückläufig. Vor ein paar Jahrzehnten kostete entsalztes Wasser mehr als 5 Dollar pro Kubikmeter; heute beläuft sich der Preis für die gleiche Menge auf weniger als 0,50 Dollar.

Eine zweite vielversprechende Alternative zur Gewinnung von Süßwasser ist Nebel: ein vertikal angebrachtes Netz kann verwendet werden, um die Feuchtigkeit aus der Luft aufzunehmen, wobei die Tröpfchen in einem Tank oder Verteilungssystem gesammelt werden. Angesichts der Tatsache, dass Nebel auch in trockenen Gebieten sehr häufig vorkommt, bieten Nebelauffangsysteme eine praktische und kostengünstige Möglichkeit, ländliche Gemeinden direkt mit Süßwasser zu versorgen.

Einige Länder nutzen diese Technologie bereits. In Kap Verde bringt ein Quadratmeter eines Auffangsystems in der besten Zeit bis zu 12 Liter Wasser täglich. In Eritrea gewinnt man mit einem 1.600 Quadratmeter großen Netz täglich bis zu 12.000 Liter. Die weltweit größte Nebelauffanganlage wurde 2015 in den Bergen Marokkos errichtet – in einem Gebiet, wo es wenig Wasser, aber sechs Monate im Jahr viel Nebel gibt.

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Die Gewinnung von Wasser aus Nebel kostet heute 1-3 Dollar pro Kubikmeter. Man rechnet mit weiter sinkenden Kosten, da der Markt für die nötigen Geräte wächst und sich mehr Menschen aus den Dörfern um den Betrieb und die Instandhaltung kümmern. Aufgrund ihrer Einfachheit haben Nebelauffangsysteme minimale Betriebskosten und können leicht von ungelernten Personen betrieben werden.

Für trockene Ökosysteme, in denen der meiste Niederschlag verloren geht, eignet sich auch die Regenwassersammlung in Mikroparzellen (so genannten „Micro Catchments“)  - im Rahmen derer bestimmte Hänge und Geländekonturen genutzt werden, um den Abfluss des Regenwassers zu verstärken und es in ein bepflanztes Areal zu leiten, wo es im Boden wirksam „gespeichert“  wird. Mehrere Projekte im Nahen Osten und in Nordafrika zeigen das Potenzial dieses Ansatzes, wenn es darum geht, das Pflanzenwachstum in sehr trockenen Gebieten zu unterstützen.

Eine weitere unkonventionelle Quelle zur Gewinnung von Süßwasser ist Grauwasser und Abwasser aus städtischen Gebieten. Mechanismen zur sicheren Sammlung, Behandlung und Wiederverwendung dieser Wässer sind erprobt und dokumentiert, wobei die strengen Bestimmungen zur Abwasserentsorgung in Nordamerika, Nordeuropa und Japan beispielhaft für die Welt sind.  

Eine letzte – und besonders erstaunliche – potenzielle Option der Wassergewinnung, die man derzeit in den Vereinigten Arabischen Emiraten untersucht, ist das Abschleppen von Eisbergen. Obwohl die kanadische Öl- und Gasindustrie regelmäßig Eisberge schleppt, um Schäden an Offshore-Plattformen zu vermeiden, ist es für die VAE keine einfache Aufgabe, das Eis während des bis zu einem Jahr dauernden Transports über eine Distanz von 10.000 Kilometer in den Süden intakt zu halten. Aber angesichts dessen, wie viel Wasser ein Eisberg durchschnittlicher Größe enthält, ist es eine Überlegung wert.

Trotz der erwiesenermaßen vielversprechenden Aussichten dieser unkonventionellen Wasserressourcen -  von der Dringlichkeit der Wasserproblematik in vielen Ländern ganz zu schweigen -  bleibt das Potenzial dieser Lösungen bedauerlicherweise nach wie vor wenig erforscht. Obwohl es in den meisten wasserarmen Ländern Regelungen für die Verwendung von entsalztem Wasser gibt, müssen die politischen Entscheidungsträger Investitionsstrategien, Wassermanagementpolitik und öffentliche Haushalte auf den neuesten Stand bringen, um der gesamten Bandbreite an Wasserressourcen Rechnung zu tragen.

Dazu werden sich die Regierungen von der überkommenen Annahme verabschieden müssen, die  Erschließung unkonventioneller Wasserquellen sei technisch nicht praktikabel oder zu kostspielig. Man sollte die potenziellen Vorteile derartiger Investitionen untersuchen, wobei es die wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und gesundheitlichen Folgen der Wasserknappheit einzukalkulieren gilt.

Die Regierungen müssen überdies die Verantwortlichkeiten der nationalen Wasserbehörden regeln und die Kapazitäten der mit der Ressource Wasser befassten Institutionen auf allen Ebenen verbessern, um groß angelegte unkonventionelle Wasserprogramme in Gang zu setzen. Dabei gilt es, bewährte Verfahren zu klären, Innovationen zu ermitteln und zu testen sowie Wissen und Erfahrung auszutauschen.

Auch der Privatsektor hat bei dieser Veränderung in Richtung unkonventioneller Wasserressourcen eine Rolle zu spielen – die über die aktuellen Bestrebungen zur Wassergewinnung aus Entsalzung sowie aus Grau- und Abwasser hinauszugehen hat. Schließlich müssen lokale Institutionen, Nichtregierungsorganisationen und lokale Gemeinschaften mobilisiert werden - zum Beispiel durch öffentliche Kampagnen, im Rahmen derer die Vorteile der Nutzung des Potentials unkonventioneller Wasserressourcen aufgezeigt werden.

In Ziel 6 der Ziele nachhaltiger Entwicklung wird der universelle Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Anlagen gefordert. Falls die Regierungen diese unkonventionellen Wasserressourcen nicht nutzen, wird die Erreichung dieses Ziels so schwierig wie die Wassergewinnung aus einem Stein – mit düsteren Folgen für Regionen, die unter Wasserknappheit leiden. 

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/HIm57WHde