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Warum das BIP immer noch eine Rolle spielt

ALLINGE, DÄNEMARK – Neuseeland wird dafür gelobt, als erstes Land der Welt einen „Haushalt des Wohlergehens“ eingeführt zu haben, mit dem der Schwerpunkt weg vom BIP hin zum „Wohlergehen der Menschen“ gelegt werden soll. Diejenigen, die etwas gegen den BIP-Indikator haben – insbesondere Grüne, die das Wirtschaftswachstum für die Umweltverschmutzung verantwortlich machen – sehen dies als spannende neue Möglichkeit, um aufzuhören, den Dollars hinterher zu jagen, und anzufangen, sich um die Menschen zu kümmern.

Die Jagd auf ein höheres BIP kann man leicht kritisieren: Der Indikator wurde im Industriezeitalter eingeführt und enthält viele Dinge, die offensichtlich nicht vorteilhaft sind. Wie Robert F. Kennedy vor einem halben Jahrhundert betonte, beinhaltet das BIP „spezielle Schlösser für unsere Türen und die Gefängnisse für die Menschen, die sie knacken“, berücksichtigt aber nicht „die Gesundheit unserer Kinder, die Qualität ihrer Ausbildung oder die Freude ihres Spiels.“

Aber trotzdem bleibt das BIP für Politik und Verwaltung der mit Abstand beste Indikator. Ignorieren wir es zugunsten alternativer Indikatoren für Wohlbefinden, wird die allgemeine Lebensqualität der Menschen wahrscheinlich sinken.

Dass Neuseeland seinen Schwerpunkt auf das Wohlbefinden legt, fühlt sich sicherlich richtig an: So wird die Regierung beispielsweise mehr für wichtige Prioritäten wie die mentale Gesundheit ausgeben. Wächst aber der gesamte wirtschaftliche Kuchen nicht – was sich in einem höheren BIP widerspiegelt – wird Neuseeland bei anderen wichtigen Maßnahmen sparen müssen. Ohne mehr Geld, das dafür ausgegeben werden kann, werden nur gute Absichten übrig bleiben.

Das BIP ist in erster Linie deshalb wichtig, weil durch das Wirtschaftswachstum über eine Milliarde Menschen aus extremer, bitterer Armut befreit werden konnten. Eine aktuelle Studie über 121 Länder zeigt, dass in den letzten vierzig Jahren die Durchschnittseinkommen der ärmsten 40% der Bevölkerung ebenso schnell gewachsen sind wie die gesamten Nationaleinkommen. Steigert man also das BIP, hilft man damit den Ärmsten.

Aber die Bedeutung des BIP reicht weit über das Einkommen hinaus. Wenn Länder reicher werden, leben die Menschen länger, geht die Kindersterblichkeit zurück, und können Regierungen mehr für Gesundheitspolitik ausgeben. Ebenso können die Menschen, wenn sie mehr verdienen, für sich selbst und für ihre Kinder gutes Essen kaufen und allgemein gesündere Entscheidungen treffen.

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Darüber hinaus trägt ein höheres BIP dazu bei, die Ausbildung zu verbessern, da Länder und Eltern sich bessere Lehrer und mehr Lehrmaterialien leisten und ihr Kinder länger zur Schule schicken können. Deshalb nehmen Länder mit höherem Pro-Kopf-BIP auf dem Index für Menschliche Entwicklung (HDE, Human Development Index) der Vereinten Nationen, der Langlebigkeit, Ausbildung und Lebensstandard misst, im allgemeinen einen höheren Platz ein.

Durch ein steigendes Pro-Kopf-BIP konnte in den letzten drei Jahrzehnten weltweit die Mangelernährung dramatisch verringert werden. Ebenso konnten ärmere Menschen aufgrund des Wirtschaftswachstums sauberere Brennstoffe zum Heizen und Kochen verwenden und auf infrastrukturelle Dienstleistungen wie Wasser, sanitäre Anlagen, Strom und Kommunikation zugreifen.

Die vielfältigen Vorteile des Wirtschaftswachstums sind nicht auf die ärmeren Länder der Welt beschränkt. Auch reichere Volkswirtschaften konnten ihren HDI-Wert in den letzten Jahrzehnten weiter verbessern, da dauerhaftes Wirtschaftswachstum ihren Bürgern ein besseres Leben ermöglicht.

Viele Indikatoren weisen sogar eine starke Korrelation zwischen dem Pro-Kopf-BIP und dem Umweltschutz eines Landes aus. Beispielsweise ist die Luftverschmutzung in Innenräumen eine der weltweit größten ökologischen Katastrophen. Millionen Menschen sterben jedes Jahr, weil die Armen bei sich zu Hause Dung und Holz verbrennen. Wenn ihre Gesellschaften reicher werden, können sich die Menschen sauberere Technologien leisten. 1990 war die Luftverschmutzung in Innenräumen für über 8% aller Todesfälle weltweit verantwortlich; dieser Wert hat sich bis heute fast halbiert.

Die Luftverschmutzung außerhalb der Häuser wird allerdings – während die Gesellschaften der extremen Armut entkommen – schlimmer, nimmt dann aber wieder ab, weil bei höheren Einkommen strengere Maßnahmen und Regulierungen eingeführt werden können und Sorgen ums Überleben gegenüber Umweltbedenken an Gewicht verlieren. Auch die Abholzung der Wälder folgt einem ähnlichen Muster: Aufgrund höherer landwirtschaftlicher Erträge und veränderter Sichtweisen schützen reiche Länder verstärkt ihre Wälder und forsten sie sogar auf.

Natürlich können verschiedene Länder ihr BIP auf jeweils bessere oder schlechtere Weise ausgeben. Beispielsweise liegt Griechenland auf dem HDI höher als Russland, obwohl die beiden Länder ein ähnliches Pro-Kopf-BIP haben. Aber da die verfügbaren Ressourcen eine so wichtige Rolle spielen, haben die Länder nur einen ganz kleinen Spielraum: Griechenland und Russland erreichen auf dem HDI höhere Werte als Brasilien und China, deren Pro-Kopf-BIP niedriger liegt, und viel höhere als Tansania und Mosambik, denen es wirtschaftlich noch schlechter geht.

Am wichtigsten ist vielleicht, dass das Pro-Kopf-BIP sehr gut dazu geeignet ist, das subjektive Wohlbefinden zu erfassen, das im Mittelpunkt des menschlichen Wohlbefindens steht. Als Forscher das Bruttonationaleinkommen (BNE, einen engen Verwandten des BIP) mit fünf „Post-BIP“-Alternativen verglichen, kam heraus, dass das BNE das subjektive Wohlbefinden besser als die meisten der anderen Kennzahlen abbildete – und der einzige etwas bessere Indikator beruht auf einer komplexen Mischung von 50 Indikatoren. Die Forscher schlossen daraus, dass „wirtschaftliche Aktivitäten und der Wohlstand, den sie erzeugen, das Leben für eine große Mehrheit der Menschen tatsächlich lebenswert machen“.

Die Wahrheit ist einfach: Mit mehr Geld kann man sich mehr Möglichkeiten kaufen. Hinter dem neuseeländischen Schwerpunkt auf Wohlergehen stehen sicherlich die besten Absichten. Aber wenn das BIP nicht steigt, hat die Regierung für ihre großen Pläne weniger Geld. Und verglichen damit, was es sonst haben könnte, wird das Land über weniger allgemeines Wohlergehen, schlechteren Umweltschutz und schwächeres Humankapital verfügen.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/claVoUOde