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Geschlechtsneutrale Fintech lässt Frauen im Stich

WASHINGTON, DC – Finanztechnologie (Fintech) wird oft als wirksames Instrument für mehr finanzielle Inklusion gehandelt. Und in den letzten Jahren hat die Fintech-Branche den Zugang bisher unterversorgter Bevölkerungsgruppen zu Finanzdienstleistungen tatsächlich wesentlich verbessert, etwa durch digitale Angebote im Bereich Sparen, Kredite, Versicherung, Zahlung und Überweisung. Wenn es allerdings um die Inklusion von Frauen geht, haben wir noch einen weiten Weg vor uns.

Wir haben Branchenexperten befragt, weil wir wissen wollten, was Fintech-Unternehmen bei der finanziellen Inklusion von Frauen bereits erreicht haben und welche Praktiken funktionieren. Eine neue Studie der International Finance Corporation fasst zusammen, was die 114 befragten Fintech-Firmen aus 17 Ländern zu sagen hatten. Die Ergebnisse sprechen für sich.

59 Prozent der an der Studie beteiligten Fintech-Unternehmen erheben nach Geschlecht aufgeschlüsselte Kundendaten. Aber nur 32 Prozent nutzen diese Informationen, um speziell auf Frauen zugeschnittene Finanzdienstleistungen zu entwickeln. Stattdessen verfolgen die Firmen meist einen „geschlechtsneutralen“ Ansatz, der nicht direkt darauf ausgelegt ist, möglichst viele Frauen zu erreichen. Deshalb ist es wohl wenig überraschend, dass bei den meisten Fintech-Kreditgebern Frauen weniger als 25 Prozent der Geschäftskunden ausmachen.

Paradoxerweise zeigt der Bericht auch, dass Frauen bei den meisten Führungskräfte in der Fintech-Branche als wertvolle Kunden gelten: sie sind treuer, weniger riskant und haben bessere Rückzahlungsraten als Männer. Die Studie der IFC bestätigt diese Einschätzung: Zwar bietet nur ein kleiner Prozentsatz der befragten Fintech-Unternehmen speziell auf Frauen zugeschnittene Produkte und Dienstleistungen an. Von diesen gibt jedoch die Mehrzahl (63 %) an, dass Kundinnen einen höheren Kundenlebenswert generieren als Männer.

Diese Firmen können anderen als Vorbild dienen. Nehmen wir den digitalen Kreditgeber Juancho Te Presta in Kolumbien: Nachdem das Unternehmen festgestellt hatte, dass Frauen Kredite häufiger genehmigt bekommen und seltener säumig sind, begann sie, ihre Produkte und Kreditbedingungen mit Hilfe von Datenanalyse auf die Bedürfnisse und Vorlieben von Frauen zuzuschneiden. So testete das Unternehmen beispielsweise Kreditprodukte ausschließlich für Frauen, die die Ratenkosten um etwa 15 % senkten.

Auch die in Ghana und Kenia tätige Fintech-Firma mfarmPay, stellte fest, dass Bäuerinnen Kredite zuverlässiger zurückzahlen und langfristig eher in der Landwirtschaft bleiben als Männer, die oft in andere Jobs wechseln. Deshalb fing das Unternehmen an, bei der Bonitätsprüfung neben Geodaten auch geschlechtsspezifische Faktoren zu berücksichtigen. Dadurch konnte sie die Kreditlücke zwischen Finanzinstituten und Kleinbauern verringern. Und weil im Management von mfarmPay viele Frauen arbeiten, kann die Firma leichter geschlechtsbezogene Hindernisse erkennen und passende Produkte und Funktionen entwickeln.

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Die in Indien ansässige Firma Indifi entwickelte kurzfristige Kleinkredite, die es von Frauen geführten Kleinst-, Klein- und mittleren Unternehmen erleichtern, eine Kreditgeschichte aufzubauen. Und ein ägyptisches Fintech-Unternehmen hat eine digitale Brieftasche entwickelt, die eine sichere und sofortige Auszahlung monatlicher Sozialleistungen ermöglicht. Sie hilft Frauen, Zeit und Reisekosten zu sparen – und sich vor Belästigungen zu schützen.

Es gibt Fintech-Firmen, die alternative Datenquellen nutzen, um Kreditgeschichten für weibliche Kunden zu generieren. Andere bieten Frauen außer Finanzdienstleistungen auch Schulungen in digitaler Kompetenz und Geschäftsführung an, stellen vermehrt weibliche Mitarbeiter ein und arbeiten mit Telekommunikationsunternehmen zusammen, um maßgeschneiderte Finanzdienstleistungen für Bäuerinnen zu entwickeln. Trotzdem bleibt die Fintech-Branche insgesamt hinter ihren Möglichkeiten zurück und beschleunigt die finanzielle Inklusion von Frauen nicht so stark, wie sie es könnte.

Geschäftlich würde sich das ganz klar lohnen. Frauen stellen ein gewaltiges Marktsegment mit zunehmender wirtschaftlicher und sozialer Macht dar. Außerdem zeigen sie eine stärkere Kundentreue, mehr finanzielle Disziplin, niedrigere Ausfallraten und eine längere Einlagenbindung. Die finanzielle Inklusion von Frauen schafft Arbeitsplätze, erhöht die Produktivität und beschleunigt das Wirtschaftswachstum. Es gibt sogar einen Zusammenhang zwischen der Inklusion von Frauen und klimafreundlichen Geschäfts- und Investitionsentscheidungen.

Die Fintech-Branche tut noch nicht genug, um die Inklusion von Frauen zu verstehen, ihren Wert zu erkennen und sie durch entsprechende Investitionen zu fördern. Dabei ist Eile geboten: wenn die finanzielle Inklusion von Frauen nicht drastisch beschleunigt wird, setzt sich Geschlechterungleichheit in den Strukturen der digitalen Finanzbranche fest.

Zum Glück kann Fintech als relativ junge Branche die Gleichstellung immer noch in ihr Design und ihre Praktiken integrieren. Wie unsere Studie zeigt, haben bereits einige Fintech-Firmen das Potenzial eines geschlechtergerechten Designs entdeckt. Das darf nicht die Ausnahme bleiben, sondern sollte zur Norm werden.

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