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Der Schulden-Superzyklus kommt nach China

CAMBRIDGE, MASS.: Die Finanzkrise von 2008 in den USA löste einen Schulden-Superzyklus aus, der sich 2010 nach Europa ausbreitete und in letzter Zeit viele Länder niedrigen und mittleren Einkommens weltweit heimsucht. Könnten die Schuldenprobleme von Country Garden – dem riesigen chinesischen Immobilien-Entwickler, der sich derzeit mit Milliardenverlusten konfrontiert sieht – die nächste Wende des Zyklus einläuten?

Die Antwort bleibt unklar. Während die chinesischen Behörden bei der Eindämmung von Wirtschaftskrisen eine bemerkenswerte Erfolgsbilanz aufweisen, sind die von der deutlichen Konjunkturabschwächung und hohen Schuldenständen insbesondere der Kommunen und des Immobiliensektors ausgehenden Herausforderungen beispiellos.

Chinas gegenwärtige Probleme lassen sich auf seine massiven Investitionsanreize nach 2008 zurückführen. Ein erheblicher Teil davon heizte den Bauboom bei Immobilien an. Nachdem jahrelang in halsbrecherischem Tempo Häuser und Bürogebäude errichtet wurden, erwirtschaftet der aufgeblähte Immobiliensektor – auf den 23 % vom BIP des Landes entfallen (26 %, wenn man die Importe mitzählt) – inzwischen sinkende Erträge. Dies ist keine große Überraschung, denn Chinas Häuserbestand und Infrastruktur können es mit denen vieler hochentwickelter Volkswirtschaften aufnehmen, während das Pro-Kopf-Einkommen des Landes vergleichsweise niedrig bleibt.

Zugleich steuern die USA in einem Wettlauf, die einst wie ein Wettrennen zwischen Hase und Igel erschien, inzwischen mit hohem Tempo auf KI-angetriebene technologische Innovationen und ein höheres langfristiges Wirtschaftswachstum zu. Der angesehene Wirtschaftskommentator Greg Ip vom Wall Street Journal hat es kürzlich so formuliert: „Inzwischen spricht keiner mehr von säkularer Stagnation“ (ein Verweis auf eine Wirtschaftstheorie, wonach ein chronischer Mangel an globaler Nachfrage und wirtschaftlich bedeutsamen Innovationen das Wachstum und die Realzinsen bis weit in die Zukunft hinein niedrig halten wird).

Amüsanterweise habe ich auf einer Konferenz vor sieben Jahren so ziemlich dasselbe geäußert. Im meinem Vortrag, der auf meinem Aufsatz „Debt Supercycle, Not Secular Stagnation“ (Schulden-Superzyklus, nicht säkulare Stagnation) von 2015 beruhte, erläuterte ich, dass Probleme im Gefolge einer Krise typisch seien und zumindest teilweise verblassen würden. Ich mutmaßte damals – womöglich überspitzt, um diesen Punkt zu unterstreichen –, dass „in neun Jahren keiner mehr von einer säkularen Stagnation reden wird“. (Ich bin dankbar, dass einer der anderen Teilnehmer der Podiumsdiskussion, J. Bradford Delong, mich in seinem Blog zitierte, wobei er womöglich vergaß, dass die Tagung unter Chatham-House-Regeln stattfand.)

Es war während des letzten Jahrzehnts weitestgehend Konsens in wissenschaftlichen und politischen Kreisen, dass die Welt tief in einer durch schwache Wachstumsgrundlagen bedingten Ära ultraniedriger Zinsen feststecke. Und tatsächlich ist das bis heute so. Die meisterliche historische Darstellung The Rise and Fall of American Growth des Ökonomen Robert J. Gordon von der Northwestern University etwa liefert überzeugende Argumente für das Ende von Innovation und Wachstum. Gordon postuliert, dass die Erfindungen im Gefolge der 70er Jahre – selbst die Computer-Revolution – wirtschaftlich nicht annähernd so bedeutsam seien wie etwa Dampfmaschine oder Stromerzeugung.

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Der milliardenschwere Investor Peter Thiel und Ex-Schachweltmeister Garry Kasparow haben in einer Debatte an der Universität Oxford zum Thema „Innovation oder Stagnation“ 2012 ähnliche Argumente vorgebracht. Ich selbst argumentierte auf der „Innovationsseite“ der Debatte und verwies auf die Fortschritte im Schach, die den Beginn des KI-Zeitalters ankündigten, und merkte an, dass wirtschaftliche Innovation unweigerlich ab und zu ins Stocken gerät – so etwa während der Großen Depression. Tatsächlich galt meine größte Sorge nie einem Ende der Innovation, sondern vielmehr der Möglichkeit, dass unsere Fähigkeit, die KI zu kontrollieren, womöglich mit deren Entwicklung nicht Schritt halten könnte.

Es gibt auf der Nachfrageseite starke Argumente für eine durch den Bevölkerungsrückgang bedingte säkulare Stagnation. In einer brillanten Rede aus dem Jahr 2013 argumentierte der Harvard-Ökonom Lawrence H. Summers, nur ein fortgesetzter Ausfall der globalen Nachfrage könne die ultraniedrigen Zinsen dieser Zeit erklären. Er löste damit eine Lawine von Forschungsarbeiten zu den grundlegenden Faktoren aus, die den Nachfrageausfall erklären könnten. Progressive Politiker haben diese Arbeiten genutzt, um zu argumentieren, dass es einer stärkeren Rolle des Staates bedürfe, um die Lücke zu füllen. Summers selbst war freilich zurückhaltender und sprach sich für erhöhte Investitionen in Infrastruktur und Bildung sowie eine direkte Umverteilung von den Reichen zu den Armen aus – Ideen, denen ich klar zustimme.

Doch trotz einiger guter Argumente für eine säkulare Stagnation sind die Sorgen über ein langfristig niedrigeres Wachstum übertrieben. Charles Goodhart und Manoj Pradhan haben die Sicht, dass ein Bevölkerungsrückgang die Nachfrage unweigerlich senkt, unter Verweis auf die rapide wachsende ältere Bevölkerung in Frage gestellt.

Auch sind nicht allein langfristige Trends für den spektakulären Einbruch der Realzinsen nach der Krise von 2008 verantwortlich; der Rückgang wurde zumindest teilweise durch die Krise selbst verursacht. Schließlich fielen die Zinssätze auch während der Großen Depression auf null und verharrten dort – bis sie es eben nicht mehr taten. Bemerkenswerterweise liegt der Zinssatz zehnjähriger inflationsgekoppelter Schatzanleihen inzwischen deutlich über seinem Durchschnittsniveau von etwa null der Jahre 2012 bis 2021.

Der Schulden-Superzyklus mag – womöglich pandemiebedingt – länger gedauert haben als ursprünglich erwartet. Aber er war ein entscheidender Bestandteil der Story, und nun, da Chinas Wirtschaft ins Stocken gerät, ist er die beste Erklärung für das, was als Nächstes kommen könnte.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/V9JHQokde