85a740025ceb20a01f936c00_mw380c.jpg Matt Wuerker

Regierungsarbeit im Zeitalter der Globalisierung

NEW YORK – Wir leben in einem Zeitalter, in dem die wichtigsten, jede Volkswirtschaft betreffenden Kräfte nicht lokal, sondern global ihre Wirkung entfalten. Was „im Ausland“ passiert – in China, Indien und anderen Teilen der Welt – betrifft selbst eine große Ökonomie wie die Vereinigten Staaten in erheblichem Ausmaß. 

Natürlich hat die Welt enorm von der wirtschaftlichen Globalisierung profitiert, einschließlich der raschen Verbreitung hoch entwickelter Technologien wie Internet und Mobilfunk. Überdies wurde die Armut in vielen Schwellenländern drastisch reduziert – allein schon aus diesem Grund muss die Weltwirtschaft offen und vernetzt bleiben.

Dennoch sind durch die Globalisierung auch große Probleme entstanden, deren Lösung man in Angriff nehmen muss. Erstens hat sich der Spielraum für Steuerhinterziehung aufgrund der raschen Zunahme an Steueroasen auf der ganzen Welt vergrößert. Multinationale Unternehmen verfügen heute über viel mehr Möglichkeiten, ihrem fairen Steueranteil zu entkommen.

Außerdem gibt es Verlierer und Gewinner der Globalisierung. In Ländern mit hohem Einkommen, allen voran den USA, Europa und Japan, sind die größten Verlierer jene Arbeitskräfte, denen es an Ausbildung mangelt, um mit den gering bezahlten Arbeitern in den Entwicklungsländern konkurrieren zu können. Am schwersten betroffen sind Arbeitskräfte in den reichen Ländern, die über keine akademische Ausbildung verfügen. Millionen von ihnen haben ihre Arbeitsplätze verloren. Und wer seinen Job behalten hat, ist mit stagnierenden oder sinkenden Löhnen konfrontiert.

Überdies schürt Globalisierung auch die Ansteckung. Die Finanzkrise des Jahres 2008 nahm ihren Ausgang an der Wall Street, breitete sich aber rasch auf die ganze Welt aus, wodurch die Notwendigkeit einer globalen Kooperation im Banken- und Finanzbereich offensichtlich wurde. Klimawandel, Infektionskrankheiten, Terrorismus und andere Übel können ebenso leicht die Grenzen überschreiten und eine ähnliche globale Reaktion erforderlich machen.    

Die Globalisierung bedarf daher einer klugen Regierungspolitik. Die Regierungen sollten für eine qualitätvolle Ausbildung sorgen, um sicherzustellen, dass junge Menschen auf den globalen Wettbewerb vorbereitet sind. Durch die Errichtung einer modernen Infrastruktur und der Förderung von Wissenschaft und Technik muss die Produktivität gesteigert werden. Und die Regierungen sollten auf globaler Ebene zusammenarbeiten, um jene Teile der Wirtschaft zu regulieren – vor allem in den Bereichen Finanzen und Umwelt – wo die Probleme eines Landes auf andere Teile der Welt übergreifen können.

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Die Notwendigkeit einer wirksamen Regierungspolitik im Zeitalter der Globalisierung ist die Kernaussage meines neuen Buchs The Price of Civilization. Einfach ausgedrückt brauchen wir heute mehr Staat und nicht weniger. Doch auch die Rolle des Staates muss modernisiert werden, um den speziellen Herausforderungen durch eine vernetzte Weltwirtschaft gewachsen zu sein.

Ich schrieb The Price of Civilization aus der Überzeugung, dass die Regierung der USA die Herausforderungen der Globalisierung weder verstanden noch darauf reagiert hat, seit diese in den 1970er Jahren ihre Wirkung auf die amerikanische Wirtschaft zu entfalten begann. Statt auf die Globalisierung mit mehr öffentlichen Ausgaben für Bildung, Infrastruktur und Technologie zu reagieren, wurde Ronald Reagan im Jahr 1980 zum Präsidenten gewählt, weil er versprach, die Staatsausgaben drastisch zu kürzen und die Steuern zu senken.

Dreißig Jahre lang haben sich die USA in die falsche Richtung bewegt und die Rolle des Staates in der nationalen Wirtschaft zurückgeschraubt, statt die zur Modernisierung der Wirtschaft und der Ausbildung der Beschäftigten nötigen Investitionen zu tätigen. Kurzfristig haben die Reichen durch die massiven Steuererleichterungen profitiert. Die Armen leiden unter Arbeitsplatzverlusten und Kürzungen der staatlichen Leistungen. Die wirtschaftliche Ungleichheit hat Ausmaße angenommen, wie man sie seit der Großen Depression nicht mehr gesehen hat.


Diese negativen Trends wurden durch die Innenpolitik verschärft. Die Reichen haben ihren Wohlstand zur Stärkung ihres Einflusses auf die politische Macht genutzt. Sie bezahlen die teuren Wahlkämpfe der Präsidenten und Kongressabgeordneten, also helfen die Präsidenten und Kongressabgeordneten den Reichen – oft auf Kosten der restlichen Gesellschaft. Momentan sind viele andere Länder von dem gleichen Syndrom betroffen – bei dem die Reichen die Macht über das politische System erlangen (oder ihren Einfluss darauf stärken).

Dennoch gibt es weltweit einige wichtige Anzeichen, dass die Menschen Regierungen satt haben, die nur ihr Klientel bedienen und alle anderen ignorieren. Zunächst sind da die zunehmenden Forderungen nach größerer sozialer Gerechtigkeit. Die Aufstände in Tunis und Kairo wurden zunächst als arabischer Frühling bezeichnet, weil man dachte, diese Entwicklungen seien auf die arabische Welt beschränkt. Aber mittlerweile erlebten wir Proteste in Tel Aviv, Santiago, London und jetzt sogar in den USA. Bei diesen Protesten wendet man sich gegen die korrupte Politik einer Oligarchie und fordert vor allem eine Politik, die alle Bevölkerungsteile einschließt.

Überdies schwenkt US-Präsident Barack Obama gerade schrittweise nach links. Nach drei Jahren, in denen seine Administration die Lobbyisten der Konzerne hätschelte, fängt er endlich an, die Notwendigkeit höherer Steuern für Reiche zu betonen. Das kommt spät in seiner Amtszeit und es ist möglich, dass er im Gegenzug für Zuwendungen zum Präsidentschaftswahlkampf 2012 weiterhin die Reichen und die Wall Street begünstigt, aber es besteht ein Hoffnungsschimmer, dass Obama für eine gerechtere Haushaltspolitik eintreten wird.

Auch mehrere europäische Staaten wie Spanien, Dänemark und Griechenland scheinen sich in die gleiche Richtung zu bewegen. In Spanien wurde kürzlich eine neue Vermögenssteuer für reiche Steuerzahler eingeführt. In Dänemark wurde eine Mitte-Links-Regierung gewählt, die sich zu höheren Staatsausgaben auf Grundlage neuer Steuern für die Reichen bekennt. Und Griechenland votierte soeben für eine neue Immobiliensteuer, die dabei helfen soll, das riesige Haushaltsdefizit zu verringern.


Auch die Europäische Kommission fordert eine neue Finanztransaktionssteuer (FTS), die jährlich etwa 56 Milliarden Euro bringen soll. Die Kommission ist schlussendlich zu der Einsicht gelangt, dass der europäische Finanzsektor nicht ausreichend besteuert ist. Die neue FTS könnte in Europa dennoch auf politischen Widerstand stoßen, vor allem in Großbritannien mit seinem großen und einflussreichen Bankensektor, aber zumindest das Prinzip stärkerer Steuergerechtigkeit steht auf der europäischen Agenda einmal ganz oben.  

Die erfolgreichsten Ökonomien der Welt liegen heute in Skandinavien. Da hohe Steuern zur Finanzierung staatlicher Leistungen auf hohem Niveau herangezogen werden , haben diese Länder eine Balance zwischen Wohlstand, sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit geschafft. Das ist der Schlüssel für das Wohlergehen in der heutigen globalisierten Wirtschaft. Vielleicht beginnt man nun in größeren Teilen der Welt, – vor allem unter den jungen Menschen –  diese neue Realität zu verinnerlichen.

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