ostrom1_Romolo Tavani_Getty images_climate Romolo Tavani/Getty Images

Grün von den Graswurzeln her

BLOOMINGTON: Vom Rio+20-Umweltgipfel der Vereinten Nationen hängt eine Menge ab. Viele propagieren ihn als Plan A zur Rettung der Erde und möchten, dass sich die Staats- und Regierungschefs in einem einzigen internationalen Übereinkommen zum Schutz unseres lebenserhaltenden Systems und zu Verhinderung einer humanitären Krise verpflichten.

Untätigkeit in Rio wäre eine Katastrophe, ein einziges internationales Übereinkommen jedoch ein großer Fehler. Wir können uns nicht auf singuläre globale Strategien verlassen, um das Problem des Umgangs mit unseren gemeinsamen Ressourcen zu lösen: Ozeanen, Atmosphäre, Wäldern, Wasserstraßen und Artenvielfalt, die gemeinsam die richtigen Bedingungen schaffen, um Leben – darunter das von 7 Milliarden Menschen – zu ermöglichen.

Noch nie musste der Mensch Probleme von dem Umfang bewältigen, vor dem die heutige globale Gesellschaft steht. Niemand weiß genau, was funktionieren wird; daher ist es wichtig, ein System zu errichten, das sich schnell weiterentwickeln und anpassen lässt.

Jahrzehntelange Forschungen belegen, dass eine Vielzahl von Strategien auf örtlicher, regionaler, nationaler und internationaler Ebene mit größerer Wahrscheinlichkeit Erfolg haben werden als einzelne, allumfassende verbindliche Vereinbarungen. Ein derart evolutionärer strategischer Ansatz beinhaltet unverzichtbare Sicherheitsnetze für den Fall, dass eine oder mehrere Strategien fehlschlagen sollten.

Die gute Nachricht ist, dass eine derartige evolutionäre Politik bereits auf organischem Wege eingesetzt hat. In Ermangelung effektiver nationaler und internationaler gesetzlicher Regelungen zur Drosselung der Klimagasemissionen ist inzwischen eine wachsende Zahl von Kommunen dabei, ihre Bürger und Wirtschaftssysteme zu schützen.

Dies dürfte kaum überraschen – und sollte in der Tat gefördert werden.

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Die meisten Großstädte liegen an Küsten oder Flüssen oder in verletzlichen Flussdeltas, d.h. sie sind besonders betroffen, wenn in den kommenden Jahrzehnten der Meeresspiegel steigt und es verstärkt zu Überflutungen kommt. Anpassungsmaßnahmen sind zwingend erforderlich. Doch da die Großstädte für 70% aller globalen Klimagasemissionen verantwortlich sind, wäre eine Entschärfung des Problems besser.

Die USA haben, was die Bekämpfung des Klimawandels angeht, keinerlei bundesweite Vorgaben erlassen, die ausdrücklich Ziele zur Emissionsminderung vorschreiben oder auch nur empfehlen. Trotzdem hatten bis Mai letzten Jahres etwa 30 US-Einzelstaaten eigene Aktionspläne zum Klimaschutz entwickelt, und mehr als 900 amerikanische Städte haben das US-Klimaschutzabkommen unterzeichnet.

Wirtschaftlich gesehen macht diese graswurzelartige Vielfalt bei der Umsetzung einer „grünen“ Politik Sinn. „Nachhaltige Städte“ locken kreative, gebildete Menschen an, die in einer sauberen, modernen städtischen Umgebung leben wollen, die ihrem Lebensstil entspricht. Dies ist, wo das künftige Wachstum liegt. Es ist wie beim Umstieg auf ein neues Handy: Erkennen die Menschen erst einmal die damit verbundenen Vorteile, rangieren sie ihre alten Modelle ruck, zuck aus.

Natürlich reicht echte Nachhaltigkeit über die Schadstoffbegrenzung hinaus. Stadtplaner müssen über die Stadtgrenzen hinausblicken und die Ressourcenströme – Strom, Lebensmittel, Wasser und Menschen – in und um ihre Städte analysieren.

Weltweit erleben wir, wie eine heterogene Ansammlung von Städten auf eine Weise interagiert, die weitreichenden Einfluss darauf haben könnte, wie sich das lebenserhaltende System der Erde weiterentwickelt. Diese Städte lernen voneinander, bauen auf guten Ideen auf und verwerfen weniger gute. Es dauerte Jahrzehnte, bis Los Angeles Maßnahmen zur Schadstoffbegrenzung ergriff, doch andere Städte, wie z.B. Peking, sind dann rasch auf den Zug aufgesprungen, als sie die Vorteile erkannten. Möglicherweise werden wir in den nächsten Jahrzehnten die Entstehung eines globalen Systems vernetzter nachhaltiger Städte erleben. Hat es Erfolg, wird jeder diesem Club beitreten wollen.

Grundsätzlich ist dies der richtige Ansatz zur Bewältigung von systemischen Risiken und Veränderungen komplexer, vernetzter Systeme und zum erfolgreichen Management gemeinsamer Ressourcen – auch wenn er sich auf den erbarmungslosen Anstieg der Klimagasemissionen bisher noch nicht merklich ausgewirkt hat.

Rio+20 kommt zu einem kritischen Zeitpunkt und ist unzweifelhaft wichtig. Seit 20 Jahren wird nachhaltige Entwicklung als angestrebtes Ideal betrachtet. Doch die auf der gigantischen wissenschaftlichen Fachtagung Planet Under Pressure veröffentlichte erste State of the Planet Declaration (Erklärung zum Zustand des Planeten) hat aufgezeigt, dass Nachhaltigkeit inzwischen Grundvoraussetzung für unsere gesamte weitere Entwicklung ist. Nachhaltigkeit auf lokaler und nationaler Ebene muss in der Summe zu globaler Nachhaltigkeit führen. Diese Idee muss die Grundlage der nationalen Volkswirtschaften sein und das Gewebe unserer Gesellschaften bilden.

Unser Ziel muss jetzt sein, Nachhaltigkeit in der DNA unserer global vernetzten Gesellschaft zu verankern. Zeit ist dabei die natürliche Ressource, von der wir am wenigsten haben – und darum muss der Gipfel in Rio die Welt aufrütteln. Wir brauchen universelle Ziele zur nachhaltigen Entwicklung in Fragen wie Energie-, Nahrungsmittel- und Sanitärversorgung, Stadtplanung und Armutsbekämpfung bei gleichzeitiger Verringerung der Ungleichheit auf unserem Planeten.

Die UN-Millenniumsziele hatten als Ansatz für den Umgang mit globalen Problemen Erfolg, wo andere Initiativen gescheitert sind. Auch wenn nicht alle dieser Ziele bis zum Zieldatum 2015 erreicht sein werden, können wir aus dieser Erfahrung eine Menge lernen.

Sich Ziele zu setzen, kann die eigene Trägheit überwinden helfen, doch müssen dabei alle einbezogen sein: Länder, Regionen, Städte, Organisationen, Unternehmen und Individuen überall auf der Welt. Unser Erfolg ist von der Entwicklung vieler sich überschneidender Strategien zum Erreichen dieser Ziele abhängig.

Wir haben noch ein Jahrzehnt, um zu handeln, bevor die wirtschaftlichen Kosten gegenwärtig praktikabler Lösungen zu hoch werden. Tun wir es nicht, riskieren wir einen katastrophalen und möglicherweise irreversiblen Wandel unseres lebenserhaltenden Systems. Unser Hauptziel muss sein, eine planetare Verantwortung für dieses Risiko zu übernehmen, statt das Wohl künftiger Generationen zu gefährden.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/9OJ6QRYde