broning13_Maryam MajdGetty Images_afdprotest Maryam Majd/Getty Images

Sollte man die AfD verbieten?

NEW YORK: Die Debatte über ein Verbot der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) hat sich seit den jüngsten Enthüllungen, wonach sich Politiker der Partei im letzten November mit Aktivisten aus der rechten Szene getroffen haben, um einen extremistischen „Remigrationsplan“ zu diskutieren, fieberhaft aufgeheizt.

Im Mittelpunkt des Geheimtreffens in einem Hotel am Lehnitzsee bei Potsdam stand Berichten zufolge die Möglichkeit der massenhaften Deportation von Deutschen anderer ethnischer Herkunft im Falle eines Wahlsieges der Rechtsextremen. Alarmiert von dieser erschreckenden Vision argumentieren nun führende Kopfe aus dem gesamten politischen Spektrum, bekannte Intellektuelle und einflussreiche Medien-Kommentatoren, dass zum Schutz der deutschen Demokratie ein AfD-Verbot notwendig sei.

Die wachsende öffentliche Unterstützung für die AfD hat das Gefühl der Dringlichkeit noch verstärkt, insbesondere da in drei ostdeutschen Bundesländern – den Hochburgen der Partei – in diesem Jahr Landtagswahlen anstehen. Die AfD hat in letzter Zeit die Proteste der Bauern gegen geplante Subventionskürzungen lautstark unterstützt, was zu der Besorgnis geführt hat, die Partei könne die explosive Situation zu ihrem politischen Vorteil ausnützen.

Fast die Hälfte der deutschen Bevölkerung befürwortet inzwischen ein AfD-Verbot. Und hunderttausende Deutsche haben sich in den letzten Tagen an Protesten gegen die Partei beteiligt. Darüber hinaus wird die Bundesregierung in einer Online-Petition aufgefordert, Björn Höcke, dem berüchtigten AfD-Fraktionsvorsitzenden in Thüringen, seine Grundrechte und politischen Rechte zu entziehen – ein in der deutschen Nachkriegsgeschichte absolut beispielloser Vorschlag. Die Petition wurde inzwischen von mehr als anderthalb Millionen Menschen unterzeichnet.

Doch wäre der Versuch, die zweitpopulärste Partei des Landes zu verbieten, demokratisch fragwürdig und hätte unerwartete – und potenziell weitreichende – negative Folgen.

Das Verfahren zum Verbot politischer Gruppierungen, die versuchen, das demokratische System zu untergraben oder abzuschaffen, ist relativ simpel. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet nach Eingang eines formellen Antrags der Bundesregierung, des Bundestags oder des Bundesrats, ob die betreffende Partei verboten werden soll.

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Doch hat das Gericht die Messlatte für ein Parteienverbot, wie frühere Versuche zur Auflösung von Parteien gezeigt haben, sehr hoch angesetzt. In 2017 lehnte es einen Antrag zum Verbot der NPD trotz deren offen rassistischer und antidemokratischer Agenda ab. Tatsächlich hat das Gericht diesen Mechanismus letztmalig 1956, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, genutzt, als es die kommunistische KPD verbot.

Diese Präzedenzfälle legen nahe, dass ein Verbotsverfahren gegen die AfD alles andere als eine Formalität wäre und – noch wichtiger – sich ohne Weiteres zu einem politischen Fiasko entwickeln könnte. Angesichts der Popularität der AfD würde selbst ein Antrag auf Verbot der Partei weithin als taktische Maßnahme der etablierten Parteien zur Ausschaltung eines zunehmend starken Wettbewerbers angesehen werden, was der Argumentation der Rechten, das System sei manipuliert, Rückenwind verleihen würde. Sollte der Versuch letztlich scheitern, würde das die AfD stärken und nicht schwächen.

Darüber hinaus würde das Verfahren vor dem Verfassungsgericht unweigerlich langsam voranschreiten – das NPD-Verfahren dauerte mehr als drei Jahre – und erst lange nach der kommenden Welle von Wahlen enden. Doch während jeder mutmaßliche Nutzen eines versuchten AfD-Verbots in der Zukunft liegt, wären seine negativen Folgen unmittelbar spürbar. In vieler Hinsicht verschafft schon die Diskussion eines Verbotsverfahrens der AfD, die davon lebt, sich als Opfer zu stilisieren, zusätzliche Munition.

Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass die AfD verboten würde, würde nur die Partei verschwinden; ihre Anhänger – und deren Beschwerden – täten es nichts. Nichts würde die AfD-Mitglieder von der Gründung einer neuen Rechtspartei abhalten – einer Alternative zur Alternative.

Es ist höchste Zeit, sich bewusst zu machen, dass die Bekämpfung des Populismus durch rechtlichen Aktivismus nicht funktioniert und das Problem sogar noch verschlimmert. Die von der extremen Rechten ausgehende Herausforderung muss politisch bekämpft werden – mit Lösungen, die die Grundursachen der Unzufriedenheit ansprechen: hohe Energiepreise, stagnierendes Wirtschaftswachstum, eine konsequent hohe Einwanderung und die gescheiterte Integration der Neuankömmlinge.

Sicherlich müssen liberale Demokratien wachsam sein – und haben sowohl die Pflicht als auch das Recht, sich zu wehren, sei es vor Gericht oder im Bundestag. Doch der Versuch, einen politischen Wettbewerber zu verbieten, ist eine Abkürzung um die unbequeme Tatsache herum, dass unzufriedene Wähler ein legitimes Recht haben, ihre Beschwerden zu äußern. Man kann demokratische Werte nicht dadurch schützen, dass man die demokratischen Freiheiten beschränkt.

Wir müssen der rechtsextremen Herausforderung in der Wahlkabine begegnen und nicht im Gerichtssaal. Ein Sieg über die AfD mittels eines gerichtlichen Verbots wäre eine moralische und politische Niederlage.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/oSs0j9Gde