Fairness und Klimawandel

PRINCETON – Ein Sinn für Fairness ist allen Menschen gemeinsam, aber was genau in einer bestimmten Situation fair ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Nirgends ist dies offensichtlicher als in der Debatte über die Reduzierung von Treibhausgasen (THG), um gefährliche Klimaveränderungen zu verhindern.

Die beiden größten Emittenten von THG sind China und die Vereinigten Staaten, und ohne ihre Mitwirkung wird wohl keine weltweite Vereinbarung zur Emissionsreduzierung funktionieren. Allerdings gehen bei internationalen Klimaverhandlungen ihre Ansichten darüber, was sie jeweils dazu beitragen sollten, weit auseinander.

Als Professoren, die das Problem des Klimawandels interessiert – einer von einer führenden chinesischen und der andere von einer führenden US-Universität – dachten wir, es sei interessant zu sehen, ob wir uns auf ein faires Prinzip zur Regulierung von Treibhausgasemissionen einigen können.

Um Ungleichheit in Bezug auf den Kohlenstoffausstoß zu messen, entschieden wir uns für die Verwendung des Gini-Koeffizienten, einer verbreiteten Maßeinheit für Einkommensunterschiede. Der niedrigstmögliche Gini-Koeffizient ist Null, was bedeutet, dass jeder über exakt dasselbe Einkommen verfügt, und der höchste ist Eins, wodurch angezeigt wird, dass eine einzelne Person über das gesamte Einkommen verfügt und für alle anderen nichts übrig bleibt. Natürlich befinden sich alle existierenden Gesellschaften irgendwo zwischen diesen beiden Extremen. Relativ egalitäre Länder wie Dänemark liegen bei etwa 0,25, und weniger egalitäre wie die USA oder die Türkei eher in der Nähe von 0,4.

Unterschiedliche Prinzipien von Fairness führen zu unterschiedlichen Emissionsverteilungen unter den einzelnen Bevölkerungen und zu unterschiedlichen “Kohlenstoff-Gini-Koeffizienten”. Um das Prinzip der historischen Verantwortung analysieren zu können, das von Ländern wie China, Indien oder Brasilien vertreten wird und vergangene, für die Atmosphäre relevante Emissionen berücksichtigt, verwenden wir zur Berechnung des Kohlenstoff-Gini-Koeffizienten die Zeitspanne von 1850-2050.

Wir haben drei vieldiskutierte Methoden ausgewählt, nach denen THG-Emissionsquoten den einzelnen Ländern zugewiesen werden können:

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Der Pro-Kopf-Ansatz weist Ländern Emissionsrechte im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl zu, aber nur für den verbleibenden Teil des weltweiten “Kohlenstoff-Budgets” – also für die Menge, die von heute bis 2050 noch emittiert werden kann, ohne dass gefährliche, irreversible Klimaveränderungen hervorgerufen werden. (Diese Grenze wird allgemein bei einer weltweiten Temperaturerhöhung von 2oC gesehen.)

Der kumulierte Pro-Kopf-Ansatz für Emissionen setzt sich für zukünftige Gleichheit ein. So kombiniert er die Verantwortung für vergangene Emissionen mit gleichen Pro-Kopf-Rechten. Er weist Anteile des allgemeinen weltweiten Kohlenstoffbudgets gleichmäßig zu und berücksichtigt dabei die Menge, die bereits konsumiert wurde.

Der Bestandsschutz-Ansatz vergibt Emissionsrechte nach bestehenden Verhältnissen. Dieses Schema ist der im Kyoto-Protokoll verwendete De-Facto-Ansatz für die Industrieländer, die Emissionen relativ zum Stand von 1990 reduzieren müssen. Also dürfen Länder, die 1990 mehr ausgestoßen haben, auch in Zukunft mehr emittieren als diejenigen, die 1990 weniger ausgestoßen haben.

Der zweite Ansatz – gleiche kumulierte Emissionen pro Kopf – ist definitionsgemäß ein Weg, um in Bezug auf ihren Beitrag zur Klimaveränderung perfekte Gleichheit für alle Länder zu erreichen. Er führt zu einem Kohlenstoff-Gini-Koeffizienten von Null. Der erste Ansatz – gleiche Emissionsrechte pro Kopf ab jetzt – führt zu einem Kohlenstoff-Gini-Koeffizienten von etwa 0,4.

Der Unterschied zeigt, dass der Streit zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern über das Prinzip der historischen Verantwortung etwa 40% der weltweiten THG-Emissionen betrifft, die ohne Überschreitung des Kohlenstoff-Budgets zwischen 1850 und 2050 stattfinden können. Der momentane Ansatz – das Bestandsschutz-Prinzip – führt mit etwa 0,7 zum höchsten Kohlenstoff-Gini-Koeffizienten.

Diese sehr unterschiedlichen Kohlenstoff-Gini-Koeffizienten zeigen, dass die Welt keine übereinstimmende Auffassung davon hat, wie ein fairer Ansatz zur Bekämpfung des weltweiten Klimawandels aussehen könnte. Der Erfolg internationaler Verhandlungen wird davon abhängen, wie die Verhandlungspartner – und die von ihnen repräsentierten Bürger – zu einigen entscheidenden Gleichheitsprinzipien stehen, insbesondere zur historischen Verantwortung und zu gleichen Pro-Kopf-Rechten.

Bereits jetzt ist klar, dass in den Verhandlungen langfristige Gleichheitsaspekte nicht angemessen berücksichtigt werden. Wenn das De-Facto-Bestandsschutzprinzip mit berücksichtigt wird, zeigt unser Kohlenstoff-Gini-Koeffizient an, dass immer noch 70% des weltweiten Kohlenstoff-Budgets zwischen den reichen und den armen Ländern umstritten ist.

Wenn sich eine Vereinbarung über ein substanzielles Gleichheitsprinzip als zu schwierig herausstellt, könnte die Grundlage für einen Minimalkonsens durch eine Einigung darüber erreicht werden, dass manche Kohlenstoff-Gini-Koeffizienten einfach zu extrem sind, um fair sein zu können. Der Gini-Koeffizient der USA von 0,38, den die meisten Menschen für ziemlich ungerecht halten, ist beispielsweise immer noch viel niedriger als der Kohlenstoff-Gini-Koeffizient des Bestandsschutzprinzips von 0,7.

Auf der anderen Seite basiert der Ansatz der gleichen jährlichen Pro-Kopf-Emissionen auf einem Prinzip, das zumindest den Anspruch auf Fairness erhebt und einen Gini-Koeffizient von weniger als 0,4 aufweist. Daher schlagen wir vor, dass eine faire Lösung einen Kohlenstoff-Gini-Koeffizienten zwischen 0,0 und 0,4 aufweisen sollte. Obwohl die Wahl eines genauen Wertes recht beliebig erscheinen mag, sollte dieser “faire Bereich” die Grenze für diejenigen darstellen, die sich einer gerechten Lösung des Klimawandelproblems gegenüber verpflichtet fühlen.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/BAjYLmCde