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Die Neuerschaffung der GAP

WAGENINGEN, NIEDERLANDE – Die 1957 eingeführte Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ist nun also über 50 Jahre alt und die Europäische Kommission beabsichtigt, einen von ihr so bezeichneten Gesundheitscheck für ihr in die Jahre gekommenes Kind durchzuführen. Allerdings wird man mit oberflächlicher Kosmetik den zukünftigen Erfordernissen in der Europäischen Union nicht genügen können. Die GAP muss neu geschaffen werden.

Damit soll nun begonnen werden und bis 2013 soll das Projekt abgeschlossen sein. Allerdings bedarf es eines noch grundlegenderen Umdenkens.

Das ursprüngliche Ziel der GAP war, für eine gesicherte Nahrungsmittelversorgung der sechs Gründungsmitglieder der Gemeinschaft zu sorgen, die alle auf Nahrungsmittelimporte angewiesen waren und einen gewissen Grad an Unabhängigkeit anstrebten. Gute, gesunde und preiswerte Lebensmittel mussten für alle Bürger zur Verfügung stehen. Eine verbesserte landwirtschaftliche Produktivität sollte den ländlichen Gegenden zugute kommen und den Bauern einen adäquaten Anteil am wachsenden Wohlstand der Gemeinschaft sichern. Um diese Ziele zu erreichen wurden Instrumente entwickelt und Nahrungssicherheit erreicht. Die GAP wurde binnen kurzem als Edelstein in der Krone des europäischen Projekts betrachtet.

Mit der Entwicklung und Erweiterung der EU sind auch die Lebensmittelsysteme komplexer geworden. Dies betrifft Produktion, Verarbeitung, die Organisation der Versorgungskette sowie den Groß- und Einzelhandelsvertrieb, wobei in allen Bereichen neue Themen im Hinblick auf Gesundheit und Umwelt hinzukommen. Auch die Bodennutzung wird einer eingehenderen Prüfung unterzogen.

Eine im Jahr 1991 vom niederländischen Wissenschaftlichen Rat für Regierungspolitik durchgeführte Studie mit dem Titel Ground for Choices zeigte, dass die Nahrungsversorgung der EU mit 50 Prozent weniger Anbauflächen, 80 Prozent weniger Pestiziden und 50 Prozent weniger Umweltverschmutzung bewerkstelligt werden könnte. Die Umweltbelastung würde aufgrund niedrigerer Nitratwerte im Oberflächenwasser um 70 Prozent gesenkt und auch die Treibhausgase würden reduziert.

Diese Zahlen bezogen sich auf eine EU mit 15 Mitgliedern, daher sind die Möglichkeiten heute mit 27 Mitgliedern ungleich größer. Eine holländische Untersuchung zur Bodennutzung ergab, dass man in der Nahrungsproduktion durch den Einsatz der besten technischen und ökologischen Mittel auf dem besten verfügbaren Boden substanzielle Zuwächse erzielen kann. Es kommt daher nicht überraschend, dass die Anzahl der zur Nahrungsmittelproduktion benötigten Bauern, beträchtlich gesunken ist.

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Aus der Perspektive der Nahrungssicherheit und des Wohlstandes für ländliche Gegenden ergibt sich die dringende Notwendigkeit, die wichtigsten Instrumente der GAP zu überarbeiten, um so zu einer neuen politischen Formel zu finden. Perverse Subventionen müssen abgeschafft und solche, die Produkte wie Bio-Kraftstoffe bevorzugen, überdacht werden.

Der Status quo muss sich ändern.  Politik für den ländlichen Raum in der EU beschränkt sich allzu oft auf Einkommensgarantien für die Bauern. Aber diese Haltung untergräbt den Wandel. Der Wettbewerb ist zu fördern, da ländliches Unternehmertum die Bauern stärkt, wobei es weniger Bauern, dafür aber bessere landwirtschaftliche Betriebe geben soll.

Eine vereinfachte GAP würde eine sauberere, produktivere und effizientere Landwirtschaft mit sich bringen. Ein Nebennutzen für die internationale Position der EU wäre, dass die in die Sackgasse geratenen Doha-Verhandlungen der Welthandelsorganisation wieder in Gang kämen, sobald die Bauern in den Entwicklungsländern die Gewissheit hätten, von Europa fair behandelt zu werden.  Überdies könnte die Rolle der GAP als Motor politischer und sozialer Integration in Europa wieder belebt werden, wenn überarbeitete Strategien eingeführt sind.

Allerdings kann eine Erneuerung dieser Art nicht den internationalen Marktkräften überlassen werden, da die Resultate möglicherweise nicht unbedingt positiv für die  europäische Landwirtschaft und Gesellschaft wären. Wenn sich der Markt „daneben benimmt“ könnten die Bauern in die Armut abgleiten, was zu einer Vernachlässigung großer Teile Europas führen würde. Dieser durchaus realen Gefahr müssen  die politischen Entscheidungsträger ins Auge blicken, wenn sie die GAP auf Grundlage der folgenden fünf Säulen reformieren.

1.      Die EU braucht eine Politik des Wissens und der Innovation, die die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft stärkt. Eine derartige Politik ist in den Niederlanden erfolgreich, wo sie in beträchtlichem Maß zur Entwicklung und Leistung der Agrarindustrie beiträgt. Zehn der 21 Bereiche der holländischen Agrarindustrie, wie beispielsweise Saatgut für den Gartenbau, Zierpflanzen, Pflanzkartoffeln und Kalbfleisch zählen zu den größten Sektoren der nationalen Wirtschaft und der Handelsbilanz des Landes. In der EU insgesamt würde eine auf Forschungsprogramme ausgerichtete Politik wissenschaftliche Exzellenz und größere Kohärenz im europäischen Wissenssystem fördern und daher die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft enorm stärken sowie einen Beitrag zu Nahrungssicherheit und nachhaltiger Entwicklung leisten.

2.      Europa braucht auch eine Restrukturierungspolitik im Bereich Bodennutzung. Zahlreiche Programme zur Strukturverbesserung werden auf europäischer Ebene finanziert, aber landwirtschaftliche Produktion und Bodennutzung zählen nicht dazu. Die Entwicklung einer landwirtschaftlichen Grundstruktur würde die europäische ökologische Grundstruktur ergänzen. Wiederaufforstung und Schadensbehebung in natürlichen Ökosystemen sollten ebenfalls Teil einer Bodennutzungspolitik sein.  

3.      Eine Politik im Bereich europäischer Lebensmittelsysteme würde Produktion, Verarbeitung, Vertrieb, Logistik und Verkauf gemeinsam behandeln. Verbrauchsmuster und Präferenzen sind ein integraler Bestandteil derartiger Systeme. Voruntersuchungen der Europäischen Wissenschaftsstiftung unter dem Titel „Forward Look on European Food Systems” könnten sich bei der Erarbeitung einer derartigen EU-weiten Politik als hilfreich erweisen.

4.      In einer sich rasch urbanisierenden Welt kann Landwirtschaft im städtischen Umfeld auf kleinen Landflächen qualitativ hochwertige Produkte hervorbringen. Das ist eine Antwort auf die steigende Nachfrage nach gesunden Nahrungsmitteln, die ohne große Umweltbelastungen erzeugt werden.

5.      Eine neue GAP sollte auch eine Strategie zum Schutz der Landschaftspflege in Europa einschließen. Nicht überall sollte man ein Kulturerbe aufrecht erhalten, und ebenso wenig sollte man die Kosten außer Acht lassen. Überdies darf es sich dabei nicht um eine defensive Strategie jener Art handeln, die dazu neigt, sich auf qualitativ minderwertiges Land zu konzentrieren.

Diese fünf Säulen bergen so manche drastische Entscheidung, aber sie werden dem europäischen Steuerzahler wahrscheinlich nicht mehr, sondern weniger kosten. Damit könnte ein echter Beitrag für eine sauberere, produktivere und effizientere Landwirtschaft und Bodennutzung geleistet werden, der gleichzeitig auch soziale Bedürfnisse berücksichtigt.

https://prosyn.org/hD8dLFDde