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Bei der globalen Steuerreform steckt der Teufel im Detail

NEU DELHI ‑ Auch wenn die technischen Details internationaler Abkommen rätselhaft oder sogar trivial erscheinen mögen, verpflichten sie Regierungen oft zu politischen Maßnahmen, die erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen haben. Dies gilt vor allem für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen, die seit langem das Opfer unfairer Verträge sind.

Ein Beispiel dafür sind die internationalen Steuerabkommen. Bilaterale Steuerabkommen sind voller Ungleichheiten. Sie sind für die Heimatländer multinationaler Unternehmen (MNCs) in der Regel vorteilhafter und leiten dringend benötigte Ressourcen aus den Entwicklungsländern in Industrieländer um.

Multilaterale Abkommen sind nicht viel besser. Das Inclusive Framework on Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) der OECD beispielsweise sollte sicherstellen, dass multinationale Unternehmen in den Ländern besteuert werden, in denen sie tätig sind (und nicht in Niedrigsteuerländern). Nach fast acht Jahren langwieriger Verhandlungen ist das Ergebnis jedoch nur bescheiden: ein globaler Mindeststeuersatz für Unternehmen von 15 %, der weit unter dem der meisten Länder liegt. Nach Ansicht des South Centre werden die Entwicklungsländer nur wenig von dieser globalen Mindeststeuer profitieren, die vor allem den Steueroasen zugutekommen wird.

Die Entwicklungsländer stehen nun vor der Wahl zwischen zwei verschiedenen Versionen einer Subject-to-Tax-Klausel (STTR), einer Klausel, die bestehenden Steuerabkommen hinzugefügt werden soll, um die Verringerung der Steuerbemessungsgrundlage und die Gewinnverlagerung zu bekämpfen. Die erste Version stammt von der OECD, wobei die fortgeschrittenen Volkswirtschaften die Diskussionen im Rahmen des BEPS-Prozesses anführen, während die zweite Version vom Expertenausschuss der Vereinten Nationen für internationale Zusammenarbeit in Steuerfragen (UNTC) stammt.

Eine STTR ist ein naheliegendes Mittel, um die „doppelte Nichtbesteuerung“ bestimmter konzerninterner Zahlungen, einschließlich Zinsen, Lizenzgebühren und Gebühren für Dienstleistungen, zu beseitigen. Die meisten Steuerabkommen beschränken das Recht des Quellenlandes, eine Quellensteuer auf diese Zahlungen zu erheben, die in der Regel vom Unternehmenseinkommen des Zahlenden abgezogen werden kann. Dadurch wird die Steuerbasis des Quellenlandes ausgehöhlt. Multinationale Konzerne können diese Einkünfte dann an Tochtergesellschaften weiterleiten, die als Zweckgesellschaften fungieren und ihren Sitz in einem Land haben, das auf diese Einkünfte keine oder nur geringe Steuern erhebt und, was entscheidend ist, ein Vertragspartner des Quellenlandes ist. Die Aufnahme einer STTR-Klausel in alle Abkommen würde es dem Quellenland ermöglichen, den Empfänger dieser Einkünfte zu besteuern, wenn das andere Land diese nicht zu einem vereinbarten Mindestsatz besteuert.

Dies mag nach einer einfachen Lösung klingen, doch der Teufel steckt im Detail. Nach einem Vergleich der beiden Abkommen durch die BEPS-Monitoring-Gruppe gibt es erhebliche Unterschiede in Bezug auf den Grad der Komplexität und den Umfang der Besteuerungsrechte. Die STTR der OECD ist komplex und begrenzt und gilt nur für bestimmte Arten von Einkünften und für Zahlungen zwischen verbundenen juristischen Personen, was viele Dienstleistungen in einer zunehmend automatisierten Welt ausschließen könnte. Im Gegensatz dazu ist das STTR-Modell des UNTC einfacher und räumt den Herkunftsländern ein viel breiteres Besteuerungsrecht ein, da es alle Arten von Einkünften ‑ einschließlich Kapitalgewinnen ‑ abdeckt, unabhängig davon, ob sie an eine verbundene oder nicht verbundene Körperschaft gezahlt werden.

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In der OECD-Version wird das Besteuerungspotenzial durch die Festlegung von Schwellenwerten weiter reduziert (die UNTC-Version enthält keine solche Anforderung). Die Regeln würden nur für verbundene Empfänger mit einem jährlichen Gesamteinkommen von mindestens 1 Mio. Euro (1,1 Mio. US-Dollar) in dem betreffenden Land bzw. von mindestens 250 000 Euro in Ländern mit einem BIP von weniger als 40 Mrd. Euro gelten. Ein weiterer Schwellenwert besagt, dass die Einnahmen (ohne Zinsen und Lizenzgebühren) höher sein müssen als die direkten und indirekten Kosten des Empfängers, zuzüglich 8,5 %. Für keinen dieser Schwellenwerte gibt es einen logischen oder gar ökonomischen Grund. Sie würden die Steuerbemessungsgrundlage schmälern und das Einnahmepotenzial des Quellenlandes einschränken, was den Interessen der multinationalen Konzerne dienen würde.

Außerdem wäre die STTR der OECD für die Steuerbehörden komplizierter, da sie vorsieht, dass die Steuer erst in dem Jahr erhoben wird, das auf das Jahr folgt, für das sie gilt, und zwar auf der Grundlage von Steuererklärungen. Im Gegensatz dazu sieht die STTR des UNTC vor, dass die Steuer direkt von den laufenden Zahlungen abgezogen werden kann. Schließlich legt die OECD-Version den Mindeststeuersatz auf 9 % fest, wobei die von den Empfängern gezahlte Steuer berücksichtigt wird, während die UNTC-Version den Satz den Verhandlungen zwischen den Ländern überlässt.

Zweifellos wäre das STTR-Modell der UNTC für die Entwicklungsländer einfacher zu handhaben und würde ihnen vor allem mehr Einnahmen bringen. Die Entscheidung sollte kein Problem darstellen, zumal die Bestimmung letztlich Teil des multilateralen Steuerabkommens werden könnte, das derzeit bei den Vereinten Nationen diskutiert wird.

Trotz der offensichtlichen Vorteile der UNTC-Version ist die OECD-Version bereits fertig und bereit für die Umsetzung. Und die OECD ist bestrebt, so viele Länder wie möglich dazu zu bringen, das vorgeschlagene multilaterale Instrument bei einer für Mitte 2024 geplanten Zeremonie zu unterzeichnen. Wieder einmal werden die Entwicklungsländer unter Druck gesetzt, einem Vertrag zuzustimmen, der zwar vorteilhaft erscheint, in Wirklichkeit aber ihr Potenzial zur Erzielung von Einnahmen verringert. Darüber hinaus würde die Unterzeichnung dieses Vertrags die Regierungen daran hindern, ein einfacheres und wirksameres Instrument, wie das vom UNTC vorgeschlagene, anzunehmen.

Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen müssen sich dieser Nuancen und ihrer Auswirkungen bewusst sein. Die Unterschiede zwischen den beiden Abkommen mögen technisch sein, sie sind jedoch nicht unerheblich. Wenn diese Länder von einem gerechteren internationalen Steuerrahmen profitieren sollen, müssen sie bereit sein, für die bessere Alternative zu kämpfen.

Deutsch von Andreas Hubig

https://prosyn.org/H45sQfTde