Der Anarchiefaktor in Syrien

TEL AVIV – Das Versagen der Obama-Administration, ihrer westlichen Alliierten und verschiedener Regionalmächte des Nahen Ostens, entschlossen gegen das Gemetzel in Syrien vorzugehen, wird oft mit deren Angst vor Anarchie begründet. Angesichts der unverkennbaren  Wirkungslosigkeit und Uneinigkeit der syrischen Opposition, so wird argumentiert, werde der Fall von Präsident Bashar al-Assad, wenn er schließlich kommt, unweigerlich zu Bürgerkrieg, Massaker und Chaos führen, die dann über die Grenzen Syriens hinaus die schwachen Nachbarn wie Irak und Libanon weiter destabilisieren und vielleicht zu einer regionalen Krise führen werden.

Was gerade in Syrien geschieht, widerlegt dieses Argument allerdings. Die schwelende Krise zerfrisst die Textur der syrischen Gesellschaft und Regierung. Anarchie macht sich jetzt breit: sie geht dem bevorstehenden Fall des Regimes voraus und beschleunigt ihn.

Die Vereinigten Staaten und andere ersetzen reale Maßnahmen in Syrien durch große Rhetorik und symbolische Sanktionen. Sanktionen gegen die Verantwortlichen der elektronischen Angriffe auf die sozialen Medien der Opposition sind keine Antwort auf die Beschießung von zivilen Wohnvierteln in Homs und Deraa.

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