badre27_TONY KARUMBAAFP via Getty Images_ajaybanga Tony Karumba/AFP via Getty Images

Kulturwandel bei der Weltbank

PARIS/STANFORD – Ajay Banga, der neue Präsident der Weltbank, übernimmt das Ruder in einem kritischen Moment. Die verheerenden Folgen der Coronapandemie haben in vielen Entwicklungsländern den Fortschritt behindert und 124 Millionen Menschen in extreme Armut gestürzt. Und seitdem der russische Überfall auf die Ukraine die Inflation anheizt und die Spannungen zwischen den USA und China verschärft, ist die Lage unsicherer denn je. Dementsprechend dürfte die wirtschaftliche Aktivität in den meisten Schwellenländern Prognosen der Weltbank zufolge noch bis 2024 unter dem Niveau vor der Pandemie bleiben.

Die Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen sind dringend darauf angewiesen, dass die Weltbank im globalen Kampf gegen extreme Armut und für bessere Lebensbedingungen eine Führungsrolle übernimmt. Wenn die Weltbank diese Länder beim Abbau ihrer Schuldenlast und beim Kampf gegen den Klimawandel unterstützt, könnte sie gleichzeitig ihre Luft- und Wasserqualität verbessern, ihre Ernährungssicherheit stärken und ihnen den Zugang zu sauberer Energie erleichtern.

Allerdings sind viele Beobachter skeptisch, ob die Weltbank wirklich in der Lage ist, die zahllosen Probleme der Entwicklungsländer zu lösen. Auch deshalb sagte Banga vor kurzem in einer Rede, die Weltbank brauche „ein neues Strategiepapier“ für den Umgang mit Entwicklungsländern. Das ist sicher richtig. Allerdings muss jede neue Strategie einer grundlegenden Tatsache Rechnung tragen: die Weltbank hat höchstwahrscheinlich nicht genug Kapital, um alle Investitionen zu finanzieren, die nötig sind, um die enormen Herausforderungen zu bewältigen, vor denen die armen Länder stehen. Deshalb muss sie neben ihrem Kapital auch ihr Wissen und ihre Beziehungen mobilisieren, um Investitionen anzulocken, die Wachstum und Beschäftigung schaffen und gleichzeitig die grüne Wende voranbringen.

Das bedeutet, dass sich die Weltbank als bevorzugter Partner ihrer Interessengruppen etablieren muss. Wenn sie mit Politikern in Entwicklungs- und Schwellenländern, anderen multilateralen Entwicklungsbanken und dem privaten Sektor zusammenarbeitet, könnte die Weltbank Anreize für eine, wie Banga es ausdrückt, „faktengestützte Risikobereitschaft“ setzen. Mit diesem Ansatz könnte die Weltbank ihre begrenzte Bilanz dazu nutzen, die jährlichen Investitionen privater, staatlicher, bilateraler und multilateraler Kreditgeber in nachhaltige Entwicklung von „Milliarden in Billionen“ US-Dollar zu vervielfachen. Dafür muss Banga seiner Institutionen jedoch zunächst eine radikale Transparenz verordnen.

Eine Kultur der Transparenz beginnt mit der Anerkennung des Offensichtlichen. Die Schuldenkrise, in der die Schwellenländer versinken, hat sich durch die Pandemie sicher verschärft. Aber diese Länder waren schon lange vorher auf einem riskanten Pfad. Das heutige Schuldendilemma ist entstanden, weil Kreditgeber und -nehmer, und auch die Weltbank selbst, unrentable Projekte verfolgt haben, die ihre Kosten nicht decken. Um künftige Schuldenkrisen zu vermeiden, müssen multilaterale Institutionen aufhören, Projekte zu finanzieren, die wirtschaftlich nicht nachhaltig sind.

Wir brauchen also zum einen technische Diskussionen, wie man zusätzliche Finanzströme generiert. Diese dürfen die Weltbank jedoch nicht von einer anderen zentralen Aufgabe ablenken: der Zusammenarbeit mit Entscheidern in den Entwicklungsländern. Die wichtigste Hilfe ist die Identifizierung künftiger Investitionen, die das Wachstum stärken und die Energiewende beschleunigen.

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Die Partner der Weltbank haben diesen Juni auf dem Gipfel für einen neuen globalen Finanzpakt in Paris bereits einen ersten Schritt hin zu einer effizienteren Weltbank getan. Noch immer sind rund 1,2 Milliarden Menschen in armen Ländern nicht ans Stromnetz angeschlossen und eine weitere Milliarde lebt mehr als 2 km von einer ganzjährig benutzbaren Straße entfernt. Investitionen in die Infrastruktur könnten nachhaltiges Wachstum fördern, zum Schuldenabbau beitragen und die Auswirkungen des Klimawandels abmildern. Angesichts der Tatsache, dass Prognosen zufolge bis 2030 zwei Milliarden Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern vom Land in die Stadt ziehen werden, ist der Bau klimafreundlicher Kraftwerke, Straßen und Bahnstrecken in diesen Ländern unverzichtbar.

Die technischen Teams der Weltbank müssen in enger Zusammenarbeit mit anderen multilateralen Kreditgebern die zusätzliche Wertschöpfung berechnen, die jeder in solche Projekte investierter Dollar vermutlich generiert. Nehmen wir einmal ein Projekt, das für jeden investierten Dollar 30 Cent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) beiträgt und somit eine Rendite von 30 Prozent erzielt. Ein solches Projekt wäre nur wirtschaftlich tragfähig, wenn die Kreditkosten unter 30 Prozent bleiben.

Wenn die Bank Partnerprojekte zunehmend auf der Grundlage der zu erwartenden Renditen bewertet, wird sie wahrscheinlich bei Klimaschutzprojekten, deren Nutzen sich nicht allein im BIP ausdrückt, auf Probleme stoßen. Deshalb sollte der Bewertungsprozess der Bank zwar betonen, dass viele Klimaprojekte hohe Renditen bringen können. Andererseits muss er unbedingt anerkennen, dass es gut Gründe gibt, in Projekte zu investieren, die womöglich keine kurzfristigen wirtschaftliche Vorteile haben. Gleichzeitig müssen wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche Investitionen sorgfältig ausbalanciert werden, um eine langfristige Schuldentragfähigkeit zu gewährleisten.

Zu diesem Zweck sollte die Weltbank ein zweistufiges Prüfverfahren einführen Auf der ersten Stufe werden Projekte ausschließlich auf der Grundlage der zu erwartenden Rendite genehmigt. Auf der zweiten Stufe werden auch Projekte berücksichtigt, deren voraussichtlichen Umweltvorteile die Kosten überwiegen. Projekte, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Tragfähigkeit genehmigt werden, könnten wiederum in zwei Gruppen unterteilt werden: hochrentable Projekte, die vermutlich private Investoren anziehen, und Projekte mit geringerer Rendite, die konzessionäre Darlehen benötigen.

Wie einer von uns (Henry) kürzlich geschrieben hat, verfügt die Weltbank über die finanziellen und personellen Mittel, um ein datengestütztes Investitionsmodell umzusetzen. Um ihr Ziel zu erreichen, muss sie die zu erwartende Rendite geplanter Projekte abschätzen, ihre Schätzungen von unabhängiger Stelle prüfen und bestätigen lassen und diese Informationen Regierungen, Investoren und der breiten Öffentlichkeit kostenfrei zur Verfügung stellen. Wenn sie diese Daten veröffentlicht, könnten Regierungen erkennen, welche Infrastrukturprojekte das Wachstum am stärksten anstoßen. Private Geldgeber könnten informierte Finanzierungsentscheidungen treffen und zivilgesellschaftliche Gruppen könnten Entscheider zur Rechenschaft ziehen

Wenn Banga in Bezug auf die Kosten und Nutzen der von der Weltbank genehmigten Investitionen eine Kultur der Transparenz einführt, würde dies auch die Glaubwürdigkeit der Bank stärken. Mehr Vertrauen würde die Anteilseigner ermutigen, Kapitalerhöhungen in Betracht zu ziehen, und die Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor und anderen Entwicklungsinstitutionen würde für eine größere Reichweite und neue Impulse sorgen.

Es wird sicher nicht leicht werden, in der Weltbank einen Kulturwandel anzustoßen. Aber viele Menschen in aller Welt warten schon lange darauf und würden Banga vermutlich bei dem Versuch unterstützen, aus einer lethargischen Institution einen effizienten Motor für eine gerechte und nachhaltige Zukunft zu machen.

https://prosyn.org/KtxlqNAde