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Hat Putin Russland verloren?

WARSCHAU. In seiner Ansprache an das russische Volk im Gefolge der Meuterei Jewgeni Prigoschins spielte der russische Präsident Wladimir Putin auf die Ereignisse des Jahres 1917 an, als die Rebellion der Infanterie von General Lawr Kornilow den Bolschewiken den Weg zur Machtergreifung eröffnete und einen fünf Jahre währenden Bürgerkrieg auslöste.

Aus Sicht des Kremls ist diese Smuta (Zeit der Wirren) die gefährlichste Bedrohung Russlands, und das nicht nur wegen der sich ankündigenden militärischen Katastrophe. Den Männern im Kreml ist egal, was den russischen Menschen, ihren Häusern und Städten zustößt. Für sie besteht die furchterregendste Aussicht darin, dass der Staatsapparat in diesem Moment der Krise eine neutrale Haltung einnimmt und abwartet, um zu sehen, wer gewinnt und vor wem man sich wird beugen müssen.

Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels haben Prigoschins Wagner-Söldner ihren „Marsch der Gerechtigkeit“ auf Moskau abgesagt. Prigoschin hatte geschworen, die Eliten des Regimes – darunter Verteidigungsminister Sergei Schoigu, den Chef des russischen Generalstabs Waleri Gerassimow und zahlreiche Generäle und Oligarchen – auf dem Roten Platz aufzuhängen. Wagners aus tausenden von Söldnern und Waffen bestehender Konvoy entlang der „Don“-Autobahn M4 hat umgedreht. Er war nur noch 400 km von Moskau entfernt, ohne dass irgendwo russische Soldaten in Sicht gewesen wären, um ihn aufzuhalten. Und bevor sie sich zur Umkehr bereiterklärten, hatten die Wagner-Leute bereits Rostow-am-Don, wo sich das Hauptquartier des südlichen Militärdistrikts Russlands befindet, kampflos unter ihre Kontrolle gebracht und zudem auf dem Weg gen Norden die wichtige Stadt Woronesch eingenommen.

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