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Israels drohender Justizputsch

TEL AVIV: In nur drei Monaten hat es der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geschafft, sein bisher bestes Wahlergebnis in Israels schlimmsten Alptraum zu verwandeln. Zwölf Wochen ununterbrochener, zunehmender Proteste haben Netanjahu gezwungen, seine Justizrevolution auszusetzen und die Führer der Opposition zu Verhandlungen über einen Kompromiss in der Residenz von Präsident Isaac Herzog aufzufordern. Doch während die Proteste eine Verfassungskrise abgewendet haben, läuft Netanjahus Entscheidung auf eine Galgenfrist bis zum Beginn der sommerlichen Sitzungsperiode der Knesset hinaus – und nicht auf einen Rückzieher.

Netanjahus Koalition beharrt trotz eskalierender Straßenproteste und eines wachsenden Stroms von Warnungen von Wirtschaftslenkern, Ökonomen und Technologieunternehmern darauf, ihren Plan zur Schwächung der Justiz voranzutreiben. Selbst ausländische Staatsoberhäupter wie der britische Premierminister Rishi Sunak, Bundeskanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron haben ihrer Sorge Ausdruck verliehen. In einer seltenen öffentlichen Rüge hat US-Präsident Joe Biden gewarnt, dass Netanjahu „diesen Weg nicht weitergehen könne“.

Doch Netanjahu hat geschworen, das Vorhaben weiter voranzutreiben. Am Schluss der winterlichen Sitzungsperiode der Knesset Ende März stand die Koalition kurz davor, zwei wichtige Änderungen an den Grundgesetzen des Landes zu verabschieden, die der Exekutive exorbitante Befugnisse verliehen hätten. Eine der Änderungen zielte darauf, der Koalition die uneingeschränkte Kontrolle über die Ernennung von Richtern – einschließlich der Richter des Obersten Gerichtshofs – zu verschaffen, was die einzig bestehende Kontrollinstanz gegenüber der Exekutive innerhalb des israelischen Systems beseitigt hätte. Die zweite Maßnahme hätte die richterliche Überprüfung von Grundgesetzen abgeschafft und die Koalition so in die Lage versetzt, Bürger- und Menschenrechte mit einfacher Mehrheit einzuschränken.

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