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Multilateralismus ist immer noch die bessere Lösung

WASHINGTON, DC – Es ist weithin bekannt, dass die Vereinigten Staaten während und nach dem Zweiten Weltkrieg große Staatskunst und Führungsqualitäten gezeigt haben. Damals war Amerika die weltgrößte politische, wirtschaftliche und militärische Macht, und statt seine Position dazu zu nutzen, die Verlierer zu bestrafen und Reparationen zu fordern, hat es dazu beigetragen, multilaterale globale Verwaltungsinstitutionen zu schaffen, die allen Ländern einen Platz am großen Tisch gewähren.

Innerhalb dieser neuen internationalen Ordnung wurden der Wiederaufbau und die wirtschaftliche Entwicklung von der Weltbank finanziert, und die Rechtmäßigkeit des internationalen Handelssystems unterlag dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) und seinem Nachfolger, der Welthandelsorganisation. Der Internationale Währungsfonds wurde damit beauftragt, globale finanzielle Stabilität zu gewährleisten, und Organisationen wie die Vereinten Nationen und die NATO schufen Rahmenbedingungen zur Bewältigung geopolitischer Spannungen.

In dieser regelbasierten Welt konnten sich Frieden und Wohlstand entwickeln. Es gab keine weltweiten bewaffneten Konflikte mehr, und dank der offenen Märkte eines globalen Handelssystems konnten viele arme Länder den Lebensstandard ihrer Bevölkerungen erheblich verbessern. Und die meisten Industrieländer machten in den Bereichen der Gesundheit, Lebenserwartung, Ausbildung und Armutsverringerung enorme Fortschritte.

All dies war eine Folge des Multilateralismus. Natürlich waren und sind die USA in dieser globalen Ordnung immer noch das führende Land. Aber da sie weniger als 5% der Weltbevölkerung und nur etwa ein Fünftel des globalen BIP auf sich vereinen, sind sie nicht groß genug, um allen anderen einfach Vorschriften machen zu können. Stattdessen hängen sie, um ihre Ziele und Interessen auf der Weltbühne durchsetzen zu können, von der Unterstützung ihrer Verbündeten ab.

Nach 70 Jahren relativen Friedens und zunehmenden Wohlstands kam dann die Trump-Regierung, die den Multilateralismus prinzipiell ablehnte. Sie kündigte die Transpazifische Partnerschaft, ein US-zentriertes, fertig ausgehandeltes Handelsabkommen von zwölf Anrainerstaaten des Pazifischen Ozeans. Außerdem begann sie einen Handelskrieg gegen China und verhängte entgegen der WTO-Regeln hohe Zölle auf chinesische Importe. Und sie schwächte die WTO zusätzlich dadurch, dass sie deren Mechanismen zur Streitschlichtung blockierte und wegen zweifelhafter Gründe der nationalen Sicherheit zusätzliche protektionistische Maßnahmen einführte.

Durch diese unilaterale Vorgehensweise hat sich die Trump-Regierung selbst geschadet. Eine multilaterale Vorgehensweise innerhalb der WTO wäre bei ihrem Versuch, sich China entgegen zu stellen, erfolgreicher gewesen.

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Viele Beobachter hatten dann gehofft und geglaubt, die Regierung von US-Präsident Joe Biden würde Trumps isolationistische und protektionistische Politik beenden und eine internationalere Position vertreten. Aber leider ist sie den gleichen Weg weiter gegangen. Nicht nur blieben die meisten der Trumpschen Zölle gegen China weiterhin in Kraft, sondern die USA haben auch noch eine umfassende Industriepolitik eingeführt, um inländische Sektoren zu subventionieren und damit den Rest der Welt zu benachteiligen.

Russlands Einmarsch in der Ukraine hat die Notwendigkeit multilateraler Zusammenarbeit verstärkt, aber auch dazu geführt, dass die Biden-Regierung noch stärker versucht, die US-Wirtschaft vor ausländischen Wettbewerbern abzuschirmen. Offensichtlich stehen diese beiden Impulse miteinander im Konflikt. Um zu gewährleisten, dass ihre Unterstützung für die Ukraine und ihre Sanktionen gegen Russland effektiv sind, brauchen die USA ihre Partner und Verbündeten – insbesondere die Europäer. Streben sie hingegen wirtschaftliche Autarkie an, benachteiligen sie die Exporte aus diesen Ländern.

So wurde die Biden-Regierung unter anderem vom Kongress dabei unterstützt, die Herstellung und den Verkauf von Halbleitern, Elektrofahrzeugen und vielen anderen Waren innerhalb der USA zu subventionieren. Für den Kauf eines Elektrofahrzeugs, das hauptsächlich US-amerikanische Komponenten enthält, können amerikanische Verbraucher eine Steuergutschrift in Höhe von 7.500 Dollar bekommen, und die Herstellung von Batterien für solche Fahrzeuge wird mit etwa sieben Milliarden Dollar staatlich gefördert. Weitere 39 Milliarden Dollar wurden dem Bau neuer Halbleiterfabriken in den USA gewidmet.

Da diese Subventionen US-Herstellern einen Vorteil gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten verschaffen, betreibt die Biden-Regierung jetzt genau die protektionistische Politik, die die USA seit langem anderen Ländern vorwerfen. Darüber hinaus beabsichtigen ausländische Unternehmen zunehmend, ihre neuen Fabriken in den USA zu bauen, wo sie all diese Vorteile genießen können. Diese Aktionen werden von Amerikas Verbündeten und Handelspartnern natürlich so gesehen, dass sie WTO-Regeln verletzen und ihren eigenen Interessen schaden. Also laufen die USA momentan Gefahr, einen neuen Handelskrieg auszulösen.

Natürlich muss die Versorgung mit bestimmten Gütern vernünftig gesichert werden, und manche Technologien müssen, da sie eindeutig militärische Bedeutung haben, anderen Ländern vorenthalten werden. Aber der Schutz dieser Güter vor falschen Händen muss über multilaterale Kanäle gemeinsam mit freundlich gesinnten Ländern stattfinden. Bei Halbleitern ist es sehr unwahrscheinlich, dass ein Land Selbstversorgung erreichen kann, ohne dafür einen unverhältnismäßig hohen Preis zu zahlen. Und bei vielen anderen Themen – wie Umwelt und Gesundheit – ist Multilateralismus weiterhin wichtig, um gemeinsame globale Ziele zu erreichen.

Um den internationalen Fluss der meisten Waren zu gewährleisten, sind multilaterale Regeln auf Grundlage des freien Handels immer noch der beste Ansatz. Und selbst wenn ein solcher globaler Ansatz durch legitime nationale Sicherheitsinteressen verhindert wird, sollten wir nicht in Unilateralismus zurückfallen. Wollen sich die USA die diplomatische Unterstützung ihrer Verbündeten bewahren und ihre wirtschaftlichen Ziele erreichen, ist eine multilaterale Politik letztlich viel erfolgreicher und günstiger.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/yZWuPamde