Marx wirft wieder seinen Schatten

Vor eineinhalb Jahrhunderten sagte Karl Marx ebenso düster wie überschwänglich voraus, dass der sich entwickelnde moderne Kapitalismus nicht in der Lage sein würde, eine annehmbare Einkommensverteilung hervorzubringen. Der Wohlstand werde wachsen, behauptete Marx, doch würden nur wenige davon profitieren, nicht die Masse: Der Wald der erhobenen Arme, die nach Arbeit suchten, würde immer dichter werden, während die Arme selbst immer dünner würden. Diese Ungerechtigkeit würde Revolte und Revolution heraufbeschwören, die zu einem neuen, besseren, gerechteren, wohlhabenderen und bei weitem egalitäreren System führen würden.

Seitdem verdient ein guter Teil der Wirtschaftswissenschaftler sein tägliches Brot damit, geduldig zu erklären, warum Marx Unrecht hatte. Ja, der anfängliche Ungleichgewichtsschock der industriellen Revolution war und ist mit rasant zunehmender Ungleichheit verbunden: Es bieten sich neue Gelegenheiten für aggressives und unternehmerisches Handeln, und die Marktpreise für seltene Schlüsselfertigkeiten schnellen in die Höhe.

Doch war dies nur vorübergehend – oder sollte es sein. Eine technologisch stagnierende Agrargesellschaft ist zwangsläufig äußerst ungleich: Durch Gewalt und Betrug drücken die oberen Schichten den Lebensstandard der Bauern auf das Existenzminimum und nehmen den Überschuss als Pacht für das Land, das ihnen gehört. Die hohe Pacht, die an adlige Grundbesitzer gezahlt wird, vergrößert ihren Reichtum und ihre Macht, da sie ihnen die Ressourcen gibt, um die Bauern klein zu halten und den Überschuss zu erhöhen – schließlich können sie nicht mehr Land erzeugen.

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