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Finanzfeldzug in Richtung Krieg

BERLIN – Da weltweite Finanzstabilität als öffentliches Gut angesehen werden sollte, verschreiben sich viele internationale Institutionen dem Ziel, die Voraussetzungen für deren Aufrechterhaltung zu schaffen. Geopolitische Konflikte führen jedoch oft zu einem Umdenken. Plötzlich wird Instabilität zu einem nützlichen Instrument, um die eigenen Interessen in einem globalen Nullsummenwettbewerb zu schützen. In unserer heutigen Zeit der Handelskriege, grenzüberschreitender Lieferketten und Zugangsbeschränkungen zu Schlüsseltechnologien - nennen wir es „Geotechnopolitik“ - kristallisiert sich eine neue Variante dieser alten Dynamik heraus. Wenn geschichtliche Entwicklungen einen Leitfaden darstellen, steht ein Finanzkrieg vor der Tür.

Im 20. Jahrhundert ging beiden Weltkriegen die Bildung rivalisierender Blöcke und eine Zunahme gezielter Finanzattacken voraus. Vor dem Hintergrund eskalierender diplomatischer Spannungen, versuchte jede Seite, die Leistungsfähigkeit der jeweils anderen durch einen finanziellen Zermürbungskrieg zu schwächen. In der Zeit vor 1914 folgte die militärische Mobilisierung einer vorangegangenen finanziellen Mobilisierung.

So reagierte etwa Frankreich während der zweiten Marokkokrise 1911 auf die Entsendung eines deutschen Kanonenboots in die Küstenstadt Agadir mit dem raschen Abverkauf deutscher Wertpapiere, wodurch in Deutschland eine Finanzpanik ausgelöst wurde. Gleichzeitig wandte sich Österreich-Ungarn, dessen Unternehmen sich den französischen Kapitalmarkt erschließen wollten, von seinem deutschen Verbündeten ab und stellte sich auf die Seite Frankreichs. Dadurch fühlte man sich in Deutschland im Hinblick auf die österreichische Unterstützung nicht mehr so sicher, war aber umso entschlossener, wirtschaftliche Probleme zu erfinden, um das Habsburgerreich auf seine Seite zu zwingen.

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