eu statue Mark Renders/Getty Images

Ganz Europa passt nicht in einen Club

PARIS –„Italien ist nur ein geografischer Begriff“, äußerte vor zwei Jahrhunderten verächtlich Metternich. Damals war die Halbinsel in eine Unzahl von Kleinstaaten gespalten. Heute wird Europa in Peking, Moskau, Neu-Delhi und sogar Washington von einigen auf die gleiche Weise betrachtet. Sie erkennen an, dass die Europäische Union bei Handelsabkommen und Währungsfragen von Belang ist, aber betrachten sie als zu unentschlossen, um im heutigen globalen Spiel der Mächte eine echte Rolle zu spielen, und als zu zerstritten, um die sich im Bereich der Sicherheit und der Migration stellenden Herausforderungen zu bewältigen. Die Aufgabe, die Europa jetzt in Angriff nehmen muss, ist, ihnen das Gegenteil zu beweisen.

Existentielle Debatten sind zugegeben so alt wie die EU – und so allgegenwärtig, dass sie Teil von deren Identität zu sein scheinen. Doch sie sind der großen Mehrheit ihrer Bürger zugleich ebenso fremd, wie sie dem kleinen Kreis davon besessener Politik-Nerds vertraut sind. Man könnte also meinen, dass man die jüngste europäische Identitätskrise getrost ignorieren könne.

Das wäre ein schwerer Fehler. Um in einer anderen, sehr viel raueren Welt zu überleben, muss die EU ihren Zweck neu definieren. Sie war in der Vergangenheit primär darauf ausgelegt, die interne Integration zu steuern; heute muss sie externe Bedrohungen abwehren. Sie war ein Verfechter von Regeln; auf das neue, transaktionsorientierte geopolitische Spiel ist sie nicht vorbereitet. Bisher haben sich die USA um ihre Sicherheit gekümmert; heute betrachtet US-Präsident Donald Trump diese Verantwortung als überzogene Belastung. Die Flüchtlingsströme waren früher ein zu vernachlässigendes Rinnsal, und obwohl sie inzwischen wieder auf ihr früheres niedriges Niveau zurückgegangen sind, hat der massive Anstieg des Jahres 2015 die mangelnde Funktionsfähigkeit des europäischen Asylsystems aufgedeckt.

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