Die Vagina-Chroniken

NEW YORK –  Gab es eigentlich eine sexuelle Revolution? Eines der Themen, über die ich in meinem neuen Buch Vagina: eine Geschichte der Weiblichkeit schreibe, ist, dass die sexuell angeblich befreiten westlichen Gesellschaften, in welchen sexuelle Bilder und Inhalte überall verfügbar sind, gar nicht so befreiend für Frauen waren. Viele Reaktionen auf mein Buch betätigen dies.

Viele Reaktionen  waren positiv: das Buch steht auf der Liste für wissenschaftliche Bücher von Publishers Weekly’s für den Herbst ganz oben. Aber der Ton einiger Kritiken – von „mystic woo-woo about the froo froo“ [mystischer Mumpitz um die Muschi] „bad news for everybody who has one“ [schlechte Nachrichten für alle, die eine haben] – legt nahe, dass man auch in einer Kultur, in der Millionen von Frauen Bücher über Sadomasochismus wie Shades of Grey verschlingen, immer noch nicht positiv und motivierend über die Sexualität von Frauen sprechen kann.

Wir müssen über dieses Thema sprechen. In der ganzen Welt werden Frauen wegen ihrer Sexualität diskriminiert: sie werden sexuell verstümmelt, bereits als Kinder verheiratet, ohne Bestrafung für den Täter vergewaltigt, wegen „Unzucht“ und anderer sexueller Delikte gesteinigt, und ihnen wird weisgemacht, ihr Verlangen mache sie sündhaft und deswegen strafbar. Natasha Walter, die mit Flüchtlingsfrauen in London arbeitet, berichtet, dass die meisten vor sexueller Verfolgung fliehen – und dass das Gesetz dies nicht als Grund für einen Asylantrag anerkennt. Unsere Gesellschaften nehmen weder die sexuelle Integrität von Frauen noch die Verbrechen dagegen ernst.

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