Das Erfolgsgeheimnis der Harvard University

AHMEDABAD, INDIEN – Kein Land dominiert eine Industrie so sehr wie die Vereinigten Staaten die Hochschulen. Dem Academic Ranking of World Universities der Jiao-Tong-Universität („Shanghai-Ranking“) zufolge befinden sich 17 der 20 besten Universitäten weltweit in den USA, angeführt von der Harvard University, die mit deutlichem Abstand den ersten Platz belegt.

Die traditionelle Erklärung für dieses Phänomen – Amerikas Reichtum, seine große Bevölkerung, die großzügige Forschungsfinanzierung, weitverbreitete private Philanthropie und die Anziehungskraft, die es auf Gelehrte aus aller Welt auszuüben vermag – ist unvollständig. Obwohl die USA die größte Volkswirtschaft der Welt sind, stellen sie lediglich einen Anteil von einem Viertel am Welt-BIP und etwa ein Zwanzigstel der Weltbevölkerung. Und ihre Unterstützung für die Forschung ist nicht einzigartig.

Wenn man der akzeptierten Erklärung folgt, müssten große Länder wie Frankreich, Deutschland, Japan und sogar China und Indien an der Spitze globaler Hochschulrankings vertreten sein. Sie tauchen jedoch nur selten irgendwo in solchen Rankings auf, wenn überhaupt.

Tatsächlich fehlt diesen Ländern ein entscheidendes Puzzleteil: Amerikas innovatives Führungsmodell im Hochschulwesen.

Harvard wurde im Jahr 1636 als öffentliche Einrichtung von den Behörden der Massachusetts Bay Colony gegründet. Welchen Wert die Universität für Massachusetts hat, wird in der Verfassung des Bundesstaates deutlich, die nach der Unabhängigkeitserklärung der USA vom Commonwealth of Massachusetts 1780 verabschiedet wurde und einen Abschnitt über die Aufgaben und Grenzen der Universität enthält.

Als das Parlament von Massachusetts von Harvard-Absolventen dominiert wurde, erfuhr die Universität Unterstützung und Beachtung. Als jedoch in den 1840er-Jahren eine Masseneinwanderung infolge der großen Hungersnot in Irland einsetzte, veränderte sich das demographische Gleichgewicht im Bundesstaat und Populisten erlangten die Kontrolle über die Legislative.

Subscribe to PS Digital
PS_Digital_1333x1000_Intro-Offer1

Subscribe to PS Digital

Access every new PS commentary, our entire On Point suite of subscriber-exclusive content – including Longer Reads, Insider Interviews, Big Picture/Big Question, and Say More – and the full PS archive.

Subscribe Now

Innerhalb kürzester Zeit sah sich Harvard Vorwürfen ausgesetzt, zu elitär, zu exklusiv und zu teuer zu sein. Sogar der Lehrplan wurde in Frage gestellt. Im Lauf der folgenden zwanzig Jahre hat der Staat die Arbeit der Universität zunehmend behindert, so etwa, indem die Freigabe von Mitteln verweigert und Widerstand gegen die Ernennung von Professoren geleistet wurde. Dieses Gebaren erreichte 1862 einen Höhepunkt, als die Legislative die Ernennung eines Universitätspräsidenten blockierte.

Als Reaktion forderte Harvard, „außer Reichweite politischer Auseinandersetzungen und Veränderungen“ und in die „Hände von Alumni [gelegt zu werden], denen das Interesse an der Lehre am meisten am Herzen liegt“. Am 29. April 1865 wurde dieser radikale Vorschlag mit knapper Mehrheit vom Massachusetts General Court (dem Zweikammerparlament) verabschiedet, was der intensiven Lobbyarbeit und dem Wohlwollen zu verdanken war, das Harvard-Absolventen durch ihre Verdienste für die Union während des Sezessionskrieges erlangt hatten. Die Aufsicht sämtlicher Aktivitäten der Universität obliegt dem Board of Overseers, das seitdem ausschließlich aus Ehemaligen besteht.

Angeregt durch den Erfolg von Harvard, leiteten andere Universitäten – angefangen bei der Yale University und dem College of William and Mary – ähnliche Maßnahmen in die Wege. Diese „originär amerikanische Methode“ wie Charles William Eliot, der dienstälteste Präsident der Harvard University, es nannte, wurde nicht nur für private Universitäten zur Regel, sondern auch für öffentliche Hochschulen wie etwa die University of Michigan und Purdue University und sogar für religiöse Institutionen wie die University of Notre Dame und Duke University.

Gegenwärtig werden 19 der führenden 20 US-amerikanischen Universitäten in den vielbeachteten Rankings des Nachrichtenmagazins US News & World Report von Ehemaligen geleitet (d.h. diese sind mit 50% oder mehr im Board of Trustees vertreten). Das California Institute of Technology bildet mit einem Kuratorium, in dem 40% Ehemalige vertreten sind, die einzige Ausnahme. Von den führenden fünf Universitäten werden drei (Harvard, Yale und Columbia) ausschließlich von Absolventen geführt und zwei (Princeton und Stanford) befinden sich zu 90% unter der Aufsicht von Ehemaligen. Sogar staatliche Universitäten wie Purdue (90%) und Michigan (63%) werden von Alumni geführt. Im Durchschnitt stellen Absolventen 63% der Mitglieder der Aufsichtsorgane der führenden 100 US-Universitäten, ob staatlich oder privat.

Im Allgemeinen geht ein höherer Prozentsatz an Ehemaligen im Board of Trustees mit einem höheren Ranking, höherer Selektivität und umfangreicherer Kapitalausstattung einher. Schließlich liegt das Prestige einer Universität niemandem mehr am Herzen als ihren Absolventen, die entsprechend dem Ranking ihrer Alma Mater an Ansehen verlieren oder gewinnen.

Tatsächlich ist die Motivation, großzügig zu spenden und die Universität effektiv zu führen für Ehemalige am größten. Angesichts ihrer detaillierten Kenntnis der Universität sind Alumni auch die effektivsten Führungskräfte. Durch Alumni-Netzwerke können Mitglieder des Board of Trustees schnell Informationen einholen und unverzüglich darauf reagieren.

Alle großen Universitäten sind Non-Profit-Organisationen, deren Aufgabe darin besteht höhere Bildung zu vermitteln, von der die Gesellschaft als Ganzes profitiert. Die US-Universitäten haben jedoch einen Weg gefunden, die Vorzüge des Wettbewerbs in das europäische Konzept gemeinnütziger oder wohltätiger Organisationen zu integrieren. Fehlender Profit führt nicht dazu, die Motivation eines mit Ehemaligen besetzten Board of Trustees zu schmälern um Prestige zu konkurrieren, indem beispielsweise renommierte Dozenten beschäftigt werden, herausragende Studenten angenommen und Erfolge auf sportlichem oder künstlerischem Gebiet angestrebt werden.

Ehemalige heranzuziehen, um die Vorteile des Wettbewerbs in gemeinnützige Institutionen einfließen zu lassen, veranschaulicht den Geist des amerikanischen Anpassungsvermögens. Länder, die es mit US-Universitäten aufnehmen wollen, sollten dem Beachtung schenken.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow.

https://prosyn.org/VFGfOgGde