Neues nukleares Denken

WASHINGTON, D.C.: Abschreckung und Angst vor einem militärischen Erstschlag, den die andere Seite sofort mit einem Gegenschlag katastrophalen Ausmaßes beantwortet hätte, konnten über ein halbes Jahrhundert einen Nuklearkrieg verhindern. Dieses Konzept fand in dem Anti-Ballistic Missile (ABM) Vertrag von 1972 seine Festigung. Darin vereinbarten die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion ihre jeweilige Fähigkeit ballistischen Waffen der gegnerischen Seite abzuschiessen, auf ein Minimum zu belassen. Nachfolgende Abmachungen über Waffenkontrollen – so der SALT- wie auch der START-Vertrag – wurden in diesem Zusammenhang ausgehandelt und umgesetzt. Das Niveau und die Typen nuklearer Waffen wurden insoweit zugelassen und beschränkt, so dass sie nicht die grundsätzliche Realität gegenseitiger Verletzlichkeit herausgefordert hätten.

Die nuklearen Vorschläge und Gegenvorschläge auf dem jüngst abgehaltenen Gipfeltreffen zwischen Präsident Clinton und Präsident Putin, könnten unter den letzten sein, die im Rahmen solcher Konzeptionen aus dem Kalten Krieg vorgelegt werden. Die Frage ist jetzt, ob die Zeit nicht reif ist für eine Wandlung hin zu einem anderen strategischen Paradigm in dem sich das Niveau der offensiven und defensiven Systeme in absoluter wie auch in relativer Hinsicht ändern würde. Genauer gesagt ist es die Frage, ob es Sinnvoll ist, eine Welt anzustreben in der weniger nuklear-offensive und mehr nuklear-defensive Racketen bestehen.

Solche Ansatzpunkte haben sich aus vielerlei Veränderungen entwickelt. An erster Stelle steht das Ende des Kalten Krieges. Für die USA und Russland macht es keinen Sinn – wenn es jemals welchen gemacht hat -, massive nukleare Arsenale zu behalten, die die jeweils andere Seite mehrere Male vernichten können. Die zwei Länder mögen keine Verbündeten sein, aber sie sind auch nicht Feinde in einem globalen Kampf, die es auf die Zerstörung des Gegners abgesehen haben. Zudem ist die Beibehaltung riesiger Raketenbestände nicht nur teuer, sondern auch gefährlich - die Möglichkeit eines Unfalles oder einer nicht autorisierten Zündung ist niemals völlig ausgeschlossen.

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