Die Neuabstimmung von Europas deutsch-französischem Motor

BERLIN: Ob die im nächsten Monat beginnende französische EU-Ratspräsidentschaft ein Erfolg wird oder nicht, hängt stark davon ab, ob es gelingt, die deutsch-französische Zusammenarbeit neu zu beleben. Sie steht für eine scheinbar lang vergangene Zeit, in der gemeinsame Initiativen für Europa die Regel waren und wo ein deutsch-französischer Vorschlag normalerweise einen für Europa insgesamt annehmbaren Kompromiss darstellte. Der Vertrag von Maastricht aus dem Jahr 1992 war vermutlich das letzte Meisterwerk deutsch-französischer Kreativität.

Seitdem jedoch haben sich beide Länder immer weiter voneinander entfremdet. Am Erweiterungsprozess hat sich Frankreich nie mit Begeisterung beteiligt, und die Schaffung des Euro führte zwischen 1993 und 1999 zu ernsten deutsch-französischen Spannungen. Auch Frankreichs Entscheidung 1996, die Wehrpflicht abzuschaffen und gleichzeitig seine Atomtests voranzutreiben trug nicht gerade zur Verbesserung der Beziehung bei. Die letzten Jahre der Präsidentschaft Jacques Chiracs produzierten überwiegend Stillstand, dessen Krönung das französische „Nein“ zum Entwurf des EU-Verfassungsvertrages im Mai war.

Natürlich kann der deutsch-französische Motor nicht mehr so funktionieren wie früher. Das hochmütige Verhalten beider Länder – zum Beispiel ihre Kritik an der Steuerpolitik Osteuropas bei gleichzeitiger Missachtung des EU-Stabilitäts- und Wachstumspaktes – hat bei anderen EU-Mitgliedsstaaten, insbesondere den Neumitgliedern, für Empörung gesorgt. Dasselbe gilt für ihren arroganten Anspruch, dass sie allein das „politische Europa“ verstünden und daher Übereinkünfte – wie in der Agrarfrage im Oktober 2002 – bilateral zum Abschluss bringen könnten.

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