sierakowski73_Sefa KaracanAnadolu Agency via Getty Images_putinspeech Sefa Karacan/Anadolu Agency via Getty Images

Putins Wortschwall

WARSCHAU – Die jährliche Rede des russischen Präsidenten zur Lage der Nation enthielt so viele zur Schau gestellte Drohungen, dass sie schon wieder beruhigend klang. Nicht nur, dass er den Westen davor warnte, rote Linien zu überschreiten, er kündigte an, dass er selbst bestimmt, wo diese Linien verlaufen. Allerdings sagte er nicht, ob er sie auch irgendjemand mitteilen will – als wären rote Linien bisher immer von Gott gezogen worden, nicht von Politikern.

Damit wollte er sich wohl vor allem selbst herausfordern – jedenfalls bestimmt nicht den chronisch lustlosen Westen. Kaum jemand wird Putin glauben, wenn er behauptet, Russland werde durch die Macht einer Europäischen Union bedroht, die nicht einmal mit Ungarn fertig wird. Dasselbe gilt für die USA. Zwar hat die Regierung von Joe Biden gerade neue Sanktionen gegen Russland verhängt, die scheinen aber noch symbolischer zu sein als die von Donald Trump – dem Präsidenten, der mit russischer Hilfe gewählt wurde. Durch die neuen Sanktionen sank der Kurs des russischen Rubels zwei Tage lang, schoss dann aber wieder in die Höhe.

Nicht einmal die Russen finden Putins Drohungen überzeugend. Das heißt nicht, dass sie ihn demnächst absetzen werden (solche Aktionen haben immer zu Problemen und meistens zu einem noch schlechteren Regime geführt). Aber es deutet auch wenig darauf hin, dass die Russen noch einmal so reagieren wie nach der Annexion der Krim, als Putins Beliebtheitswerte durch die Decke gingen.

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