Die deutsche Nationale Sicherheitsstrategie geht am Ziel vorbei

BERLIN – Nach erheblichen Verzögerungen hat der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich die erste Nationale Sicherheitsstrategie seines Landes vorgestellt. Fast anderthalb Jahre nach der Erklärung des Kanzlers vor dem Bundestag, Russlands Invasion in der Ukraine habe eine „Zeitenwende“ ausgelöst, soll dieser lang erwartete Plan Deutschland nun dabei helfen, sich an ein verändertes und unsicheres geopolitisches Umfeld anzupassen. Dieses 74-seitige Dokument – das gemeinsam von den Ministerien für Äußeres, Inneres und Verteidigung sowie dem Kanzleramt veröffentlicht wurde – zeigt die geopolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen des Landes zwar klar auf, aber die Strategie darin ist in ihrer momentanen Form zu vage, um als effektive Richtlinie dienen zu können.

Bisher ist Deutschland ohne eine solche Sicherheitsstrategie ausgekommen, aber der Angriff des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf die Ukraine hat – gemeinsam mit der gefährlichen Abhängigkeit des Landes von russischem Erdgas – die Notwendigkeit einer übergreifenden Planung verdeutlicht. Seit Jahrzehnten konnte sich Deutschlands hinsichtlich seiner Sicherheit auf die Vereinigten Staaten und die NATO verlassen. Dies war mit einer scheinbar endlosen Friedensdividende verbunden, die dem Land militärische Zurückhaltung ermöglicht hat – und die Illusion, die Welt sei friedlicher und sicherer, als sie es tatsächlich war.

Durch Russlands Einmarsch in die Ukraine wurde diese Illusion jedoch zerstört, und auch China, das jegliche westliche Blöße gern ausnutzt, ist nun außenpolitisch aggressiver geworden. Aber während die neue Strategie Russland klar als Deutschlands primäre Sicherheitsbedrohung identifiziert, beschreibt sie China als „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“ – was ein widersprüchliches Sammelsurium von Begriffen ist, und Taiwan wird erst gar nicht erwähnt. Stattdessen betont das Dokument die enge deutsche Partnerschaft mit den USA, das feste Bekenntnis zur NATO und eine stärkere Europäische Union als institutionelle Grundlagen zur Verteidigung gegen tatsächliche oder potenzielle Feinde.