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Freiheit ohne Gerechtigkeit

LJUBLJANA – Lea Ypis Buch Frei: Erwachsenwerden am Ende der Geschichtewurde in ihrem Heimatland Albanien feindselig aufgenommen, und die Gründe dafür sind leicht zu verstehen. Ihre Selbstbeschreibung als „marxistische albanische Professorin für politische Theorie an der London School of Economics“ sagt alles.

Bei der Lektüre von Ypis Buch fielen mir die Parallelen auf zwischen ihrem Leben und dem von Wiktor Krawtschenko, dem sowjetischen Diplomaten, der sich bei einem Besuch in New York 1944 in die USA absetzte. Sein berühmter autobiografischer Bestseller I Chose Freedomwurde zum erstenbedeutenden Augenzeugenbericht über die Schrecken des Stalinismus, angefangen mit seiner detaillierten Beschreibung des Holodomor (Hungersnot) in der Ukraine Anfang der 1930er Jahre. Damals noch überzeugter Anhänger der sowjetischen Politik, war Krawtschenko an der Durchsetzung der Kollektivierung beteiligt gewesen und wusste also, wovon er sprach.

Krawtschenkos öffentlich bekannte Geschichte endet 1949, als er in triumphaler Weise einen großen Verleumdungsprozess gegen eine französische kommunistische Zeitung gewann. Die Sowjets flogen zu dem Prozess in Paris seine Exfrau ein, damit diese ihn dort der Korruption, des Alkoholismus und häuslicher Gewalt bezichtigte. Das Gericht ließ sich davon nicht beeinflussen, doch die Menschen neigen dazu, zu vergessen, was dann geschah. Im Gefolge des Prozesses, während er weltweit als Held des Kalten Krieges gefeiert wurde, entwickelte Krawtschenko eine tiefe Besorgnis über die antikommunistischen Hexenjagden, die sich in den USA entfalteten. Den Stalinismus durch McCarthyismus zu bekämpfen, so warnte er, bedeute, sich auf das Niveau der Stalinisten zu erniedrigen.

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