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Die Fiskalpolitik muss zu ihren Grundlagen zurückkehren

CAMBRIDGE – Die jüngsten großen Zinserhöhungen der US-Notenbank Federal Reserve und der Europäischen Zentralbank deuten darauf hin, dass die Politiker entschieden handeln wollen, um die Inflation zu senken. Aber wo sind die vielen Wirtschaftskommentatoren, die seit Jahren argumentieren, die Fiskalpolitik – die meist als schuldenfinanzierte Ausgabenpolitik verstanden wird – müsse bei der Steuerung von Konjunkturzyklen eine viel aktivere Rolle spielen? Wenn es wirklich Sinn macht, einen Abschwung sowohl durch geld- als auch durch fiskalpolitische Maßnahmen zu bekämpfen, warum sind dann die Zentralbanken bei ihrem Versuch, angesichts der Rekordinflation eine weiche Landung zu gewährleisten, plötzlich auf sich allein gestellt?

Vor der globalen Finanzkrise von 2008 war es Konsens, dass die Geldpolitik in normalen Konjunkturzyklen die Führung übernehmen soll. Die Fiskalpolitik könne dabei unterstützend wirken – außer im Fall von Kriegen oder Naturkatastrophen wie Pandemien. Bei systemischen Finanzkrisen, so dachte man, könne die Geldpolitik sofort reagieren, aber die Fiskalpolitik solle schnell folgen und mit der Zeit die führende Rolle spielen. Steuerliche Maßnahmen und Staatsausgaben seien zwar extrem politisch geprägt, aber in Notfällen könnten erfolgreiche Volkswirtschaften mit diesem Problem umgehen.

Im letzten Jahrzehnt allerdings hat sich immer mehr die Ansicht verbreitet, auch in normalen Zeiten solle die Fiskalpolitik eine dominantere makroökonomische Rolle spielen. Diese Wende wurde auch dadurch beeinflusst, dass die Zinssätze der Zentralbanken auf Null fielen. (Einige, wie auch ich, glauben, dass dieses Argument relativ einfache und effektive Methoden zur Senkung der Zinsen unter Null ignoriert, dies will ich hier nicht weiter ausführen.) Aber die Nullgrenze war keineswegs das einzige Argument.

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