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Nach der Wahl in Großbritannien: eine politische Standortbestimmung

LONDON – In einer Erklärung vor der Tür von Nr. 10 Downing Street dankte der britische Premierminister Boris Johnson nach seinem Erdrutschsieg langjährigen Labour-Anhängern, dass sie seiner Konservativen Partei ihre Stimme „geliehen“ hätten. Es war eine seltsame, von ihrer Bedeutung her komplett kontextabhängige Formulierung. Die Torys hatten Labours Hochburgen in den Midlands und in Nordost-England mit dem Versprechen geknackt, den „Brexit zu Ende zu bringen“. Mit dem britischen Austritt aus der Europäischen Union am 31. Januar 2020 wird Johnsons seine Schuld gegenüber diesen Wählern begleichen.

Doch den „Brexit zu Ende zu bringen“ wird nicht reichen, um die Torys in die Lage zu versetzen, ihre Mandate zu verteidigen. Johnson hat dies erkannt. Die Konservativen, so äußerte er, müssten sich wieder in eine Partei der „nationalen Einheit“ verwandeln. Labour andererseits muss, um sein Kernland zurückzuerobern, einen Weg finden, die Verbindung zu seinen entfremdeten Anhängern wieder zu reparieren.

Was diese doppelte Neukonfiguration umfasst, ist einigermaßen klar. Die Konservativen müssen sich von der Thatcherschen Wirtschaftspolitik verabschieden, und Labour muss seine Umarmung der Minderheiten und der Minderheitskultur lockern. Beide müssen wieder in Richtung Mitte rücken. Der liberalistische Traum eines wirtschaftlich und moralisch freien Marktes trifft bei einer wirtschaftlich interventionistischen, aber sozialkonservativen Wählerschaft nicht auf Widerhall.

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