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Der ukrainisch-russische Kulturkrieg

BERKELEY/KIEW: Als Russland im Februar 2022 seine groß angelegte Invasion der Ukraine startete, erwartete kaum jemand, dass der Widerstand länger als ein paar Tage dauern würde. In Russland wie im Westen wurde erwartet, dass die russischen Truppen mit Paradeuniformen in der Hand in Kiew hereinrauschen, eine Marionettenregierung installieren und die ukrainische Eigenstaatlichkeit faktisch beenden würden.

Doch während die westlichen Regierungen glaubten, dass die Ukraine Russland militärisch nicht gewachsen sei, beruhte die Erwartung des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf einen schnellen Sieg Russlands auf einer grundlegenderen Annahme: Dass die Ukrainer kaum willens seien, Widerstand zu leisten, weil sie nie wirklich existiert hätten. In Putins Augen waren Geschichte und Identität der Ukraine derart mit Russland verknüpft, dass ihre Bevölkerung keinen Grund hätte, um der Souveränität willen ihr Leben und Eigentum zu riskieren.

In dieser imperialen Fehlkalkulation wurzelt der Krieg. Die Stärke des ukrainischen Widerstands war weniger von der von den NATO-Mitgliedern geleisteten Unterstützung abhängig als vom festen Willen des ukrainischen Volkes, sein Schicksal selbst zu bestimmen. Die Ukrainer wissen, dass es bei diesem Kampf um ihr nationales Überleben geht und dass eine kulturelle Dekolonialisierung dafür unverzichtbar ist.

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