Europa, auf Biegen oder Brechen

Nach dem Schweden den Euro abgewinkt hat, wird die grundlegende Entscheidung, vor der Europa jetzt steht, offenkundig. Langsam, sehr langsam kommt für die Europäische Gemeinschaft die Stunde der Wahrheit, in der ihre Mitgliedstaaten entscheiden müssen, welche Art Vereinigung sie haben wollen. Wollen sie eine politisch integrierte Union, die sich vielleicht zu einer Föderation entwickelt? Oder wollen sie einen lockeren Wirtschaftsclub, der sich vorwiegend auf einen gemeinsamen Wirtschaftsmarkt mit ein paar freiwilligen Zusätzen politischer Natur stützt?

Vor dieser Frage stand die EU von Anfang an. Auf sie antworteten die Mitgliedsregierungen bis jetzt damit, dass sie im Tempo des Zögerlichsten voranschritten. Doch das könnte sich ändern. In diesem oder im nächsten Jahr könnte sich schließlich klären, ob die Kluft zwischen Föderalisten und Nationalisten zu tief ist, um überbrückt zu werden. An dem Punkt werden die Föderalisten nach einem Weg Ausschau halten, auf dem sie alleine weiterkommen können. Wenn sie das tun, wird es ein Europa der zwei Geschwindigkeiten geben, nämlich einen politisch integrierten inneren Kern und andere Staaten, die sich lose am Rande anhängen.

Die Vorstellung einer Vereinigung mit zwei Geschwindigkeiten oder einer veränderlichen Geometrie ist seit langem im Gespräch, hauptsächlich als eine Möglichkeit, um den Euro-skeptischen, fußlahmen britischen Regierungen in Folge entgegenzukommen. In den meisten Fällen kamen solche Debatten zu dem verdrießlichen Schluss, dass es hoffnungslos schwierig sei, ein Europa der zwei Geschwindigkeiten auszuhandeln. Schließlich, als Tony Blair an die Macht gelangt war, schien die Vorstellung einer Union mit veränderlicher Geometrie - Gott sei Dank - an Dringlichkeit verloren zu haben.

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