Die Industriepolitik verliert ihr Stigma

WASHINGTON, D.C.: Eines der bestgehüteten ökonomischen Geheimnisse wurde 2010 klar bestätigt. Die meisten Länder verfolgen, ob nun absichtlich oder nicht, eine Industriepolitik der einen oder anderen Form. Dies gilt nicht nur für China, Singapur, Frankreich und Brasilien – Länder, die gewöhnlich mit einer derartigen Politik in Verbindung gebracht werden –, sondern ebenso für Großbritannien, Deutschland, Chile und die USA, deren Industriepolitik häufig weniger offensichtlich ist.

Angesichts der Tatsache, dass der Begriff Industriepolitik grob gesagt auf alle staatlichen Entscheidungen, Regulierungsmaßnahmen oder Gesetze verweist, die laufende Aktivitäten in einer oder Investitionen in eine Branche fördern, sollte dies nicht überraschen. Schließlich sind wirtschaftliche Entwicklung und nachhaltiges Wachstum das Ergebnis eines fortlaufenden industriellen und technologischen Wandels, ein Prozess, der die Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen und privaten Sektoren erfordert.

Historische Belege zeigen, dass in Ländern, die den Wandel von einer Agrarwirtschaft zur modernen Volkswirtschaft erfolgreich bewältigt haben – in Westeuropa, Nordamerika und, in jüngerer Zeit, in Ostasien – die Regierungen zentrale Investitionen durch private Unternehmen koordinierten, die dazu beitrugen, neue Industrien aufzubauen, und häufig wegbereitenden Firmen selbst Anreize boten.

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