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Europa könnte seine Gelegenheit zur politischen Neuausrichtung verpassen

PARIS – „In Europa gibt es momentan zwei Strömungen. Eine wird von Macron angeführt, der Einwanderung befürwortet. Die andere wird von Ländern unterstützt, die ihre Grenzen schützen möchten.“ So hat der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán im August die politische Landschaft Europas beschrieben – während seines Treffens mit Matteo Salvini von der Lega-Partei, dem starken Mann in der italienischen Regierung. Umgehend kam auch Macrons Antwort darauf: „Wenn sie mich als ihren größten Gegner betrachten wollen, haben sie sicherlich recht.“

Sowohl Orbán als auch Macron scheinen zu glauben, die Wahlen zum europäischen Parlament im Jahr 2019 könnten zu einer politischen Neuausrichtung führen. Aber werden sie das wirklich? Werden die Bürger des Kontinents die Wahl zwischen einer geschlossenen und einer offenen Gesellschaft haben? Die Antwort auf diese Frage – die für die Zukunft Europas und das Vertrauen seiner Bürger in die Demokratie von entscheidender Bedeutung ist – ist keineswegs sicher.

Die politische Landschaft Europas bietet eine interessante Mischung aus Eigenständigkeit und Gemeinschaftlichkeit. Einerseits spiegelt sie die Maxime wider, dass sämtliche Politik auf „lokaler Ebene“ stattfindet: Die Parteien sind tief in nationalen Traditionen verwurzelt, und die pan-europäischen Gruppierungen sind nur lose Zusammenschlüsse mit wenig Einfluss. Andererseits sind die politischen Auswirkungen stark: Regelmäßig gehen Wellen der Veränderung über die Grenzen hinweg und erreichen den gesamten Kontinent.

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