China: Ein Wirtschaftssystem entwickelt sich

Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass Chinas beeindruckende wirtschaftliche Leistungen während der vergangenen drei Jahrzehnte größtenteils auf die radikale Reform seines Wirtschaftssystems zurückzuführen sind. Während es zu Beginn dieser Reformen so gut wie keine Firmen in Privatbesitz gab, sind private Unternehmen heute für etwa 60% der Gesamtproduktion verantwortlich.

Eigentum ist jedoch nur eine Dimension eines Wirtschaftssystems. Chinas Wirtschaftssystem hat sich ebenso drastisch in anderen Bereichen verändert. Das Fällen von Entscheidungen in Bezug auf Konsum und Produktion wurde weitestgehend dezentralisiert und Privathaushalten beziehungsweise Firmen übertragen; wirtschaftliche Anreize, Märkte, Wettbewerb und Internationalisierung haben in beträchtlichem Ausmaß Anordnungen, Verwaltungsvorgänge, Monopol und Autarkie abgelöst. Im Großen und Ganzen stellt Chinas Reformperiode ein krasses modernes Beispiel für die historische Lehre dar, dass die Freisetzung individueller Initiative die Tendenz zur Ankurbelung der wirtschaftlichen Entwicklung hat.

Wie sollte die chinesische Wirtschaft von heute demnach charakterisiert werden? Einige Beobachter beschreiben das aktuelle Wirtschaftssystem in China als “Staatskapitalismus”; andere (einschließlich der chinesischen Machthaber) bezeichnen es als “Marktsozialismus”. Beide Bezeichnungen sind irreführend. Ein Grund ist die Dominanz privater Firmen auf Produktionsseite. Ein weiterer ist die Tatsache, dass “Sozialismus” gewöhnlich nicht auf starken wirtschaftlichen Anreizen und Wettbewerb beruht, die im heutigen China die vorherrschenden Wirtschaftsfaktoren darstellen.

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