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Auf dem Weg in das Jahrhundert des Drachen?

BERLIN – Der aktuelle Besuch des russischen Präsidenten in China, der ersten Auslandsreise in seiner neuen Amtszeit, wirft ein Schlaglicht auf die Veränderungen in der globalen Ordnung. Auf dem größten, dem asiatischen Kontinent ist eine Allianz entstanden, bestehend aus China und Russland, die den gesamten Norden dieser riesigen Landmasse umfasst. Eigentlich muss man dazu noch Nordkorea hinzurechnen.

Dies ist ein unmittelbares Ergebnis des kriegerischen Überfalls Russlands auf seinen kleineren Nachbarn Ukraine mit dem Ziel der Auslöschung von dessen Eigenstaatlichkeit und schlussendlichen Annexion in den russischen Staatsverband. Der Westen reagierte darauf mit massiven Sanktionen und Handelsrestriktionen gegenüber Russland, was in der Folge fast zum völligen Zusammenbruch der russischen Energieexporte Richtung Europa und des Handels führte.

China nutzte die Gelegenheit, um die Lücke zu füllen, die der Krieg in der Ukraine für Russlands Außenhandel gerissen hatte. Zudem eröffnete sich für China ein preisgünstiger Energieimportmarkt zu Vorzugspreisen, da Russland die Einnahmen aus dem Energiegeschäft für seinen Krieg in der Ukraine dringend brauchte und deshalb große Preisnachlässe gewähren musste.

China blieb jedoch vorsichtig, um mit seinen Unternehmen nicht durch die USA weiter sanktioniert zu werden. Direkte Waffen- und sensible Technologielieferungen wurden unterlassen, um die eh schon unter schweren Druck geratenen Handelsbeziehungen zu den USA nicht weiter zu gefährden. China weiß, dass es im technologischen High-End-Bereich auf den Westen und vor allem auf die USA angewiesen bleibt, will auch seine Absatzmärkte im Westen nicht gefährden und betreibt in der Ukrainekrise folgerichtig eine nur mühselig aufrechtzuerhaltende Schaukelpolitik der immer größeren Nähe zu Russland bei gleichzeitiger formaler Neutralität im Ukrainekrieg und der Beachtung westlicher roter Linien in diesem Konflikt.

Putins Russland seinerseits sieht sich, je länger sich der Ukrainekrieg hinzieht, mehr und mehr in einer globalen Konfrontation mit dem von den USA angeführten Westen und erklärt den Überfall auf die Ukraine zum Beginn eines von Russland angeführten Kampfes gegen die globale Vorherrschaft des Westens. Russland sieht sich selbst in einem Krieg um die Revision der machtpolitischen Ergebnisse des Endes des Kalten Krieges und um die Wiedererlangung seines Weltmachtstatus. Die Machtelite in Putins Russland unterliegt einem großen Trugschluss, wenn sie sich in ihrem Kampf gegen den Westen und die USA auf dem Weg zur Wiedererlangung des Weltmachtstatus für Russland sieht. Denn dazu reicht Russlands wirtschaftliches und technologisches Potenzial bei Weitem nicht aus. Das Land schleppt nach wie vor ein gewaltiges Modernisierungsdefizit mit sich herum. De facto hat Putin nichts anderes getan, als Russland in die Juniorpartnerrolle und damit in die Abhängigkeit von der neuen Supermacht China zu führen.

Chinas Schaukelpolitik steht dazu in einem gewissen Widerspruch, aber wenn man den jüngsten Besuch des Kremlherrrschers in Peking zum Maßstab nimmt, dann scheint sich die Waage mehr und mehr zugunsten jenes autoritären nordasiatischen Blocks zu senken. Aus der Krise in der Ukraine kann daher sehr leicht eine globale Konfrontation werden.

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Aber selbst, wenn es nicht zu dieser heißen Konfrontation kommt, so zeichnen sich doch schon heute die Konturen einer erneuten Zweiteilung der Welt ab. Weite Teile des globalen Südens werden dem autoritären nordasiatischen Block zuneigen, auch auf Grund von Fehlern und langjähriger Ignoranz gegenüber diesen Ländern durch den Westen. Dem Iran wird dabei aufgrund seiner Rolle als Anführer der sogenannten „Widerstandsfront“ im Nahen Osten und seines Griffs nach der regionalen Vorherrschaft dort eine ganz besondere Rolle zukommen.

Auf der anderen Seite wird Amerika durch diese Veränderungen in der Weltordnung zu seinen Lasten als global führende Supermacht herausgefordert und zu einem verstärkten Agieren gezwungen werden, an erster Stelle an den beiden aktuellen Kriegsschauplätzen Ukraine und Nahost. Im Nahen Osten zeichnet sich sogar ein amerikanisch-saudischer Sicherheitspakt ab, der von den USA bis dato immer abgelehnt worden war.

Die autoritäre Blockbildung in Nordasien und sowohl Putins Überfall auf die Ukraine wie auch der 7. Oktober in Gaza scheinen die Phase des Rückzuges der Supermacht auf die westliche Hemisphäre beendet zu haben, die mit dem Rückzug nach dem verfehlten Abenteuer des Irakkrieges begonnen hatte. In Washington hat man erkannt, dass es bei dieser Neuordnung der Welt auch und vor allem um die Rolle der USA als führende Supermacht geht, um deren zukünftigen Status. Diese Neuordnung hat nicht nur eine geopolitische, sondern auch eine umstürzende technologische Dimension (AI). Die Systemkonkurrenz ist auf allen Ebenen voll entbrannt.

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