Amerikas Zinssatzrätsel

Das nach wie vor niedrige Niveau der langfristigen Realzinssätze in den Vereinigten Staaten gibt der heutigen Weltwirtschaft ein großes Rätsel auf. Konventionelle Makroökonomen wie ich wissen nach einem Blick auf Amerikas aktuelles Leistungsbilanzdefizit, das derzeit 7 % des BIP beträgt, dass derartig große Defizite zwangsläufig große Geldentwertungen nach sich ziehen. Daher erwarten wir einen beträchtlichen Entwertungsaufpreis auf die US-Zinssätze.

Wenn der Dollar zu einem beliebigen Zeitpunkt innerhalb der nächsten zehn Jahre gegenüber dem Euro um weitere 20 % fällt, sollten die langfristigen US-Zinssätze zwei Prozentpunkte höher als die Eurozinssätze sein. Wenn er innerhalb der nächsten zehn Jahre gegenüber dem Yen um 40 % fällt, sollten die langfristigen US-Zinssätze vier Prozentpunkte höher als die japanischen Sätze liegen. Wenn er innerhalb der nächsten zehn Jahre gegenüber der chinesischen Währung, dem Yuan, um 60 % fällt, sollten die langfristigen US-Zinssätze sechs Prozentpunkte höher als die chinesischen Sätze liegen. Doch sind für derartige Maßnahmen keine Anzeichen zu erkennen.

Das Rätselhafte ist nicht nur, dass die langfristigen Zinssätze zu niedrig sind, wenn man sie im internationalen Zusammenhang betrachtet, sondern auch, wenn man sie in Amerikas nationalem Kontext sieht. Die Regierung Bush verfolgt weiterhin keine Pläne, die Wunden zu schließen, die sie mit ihrer mittelalterlichen Wirtschaftspolitik aufgerissen hat, nach der alle wirtschaftlichen Probleme durch das Schröpfen von Regierungseinnahmen geheilt werden können.

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