Eingebürgerte Killer

Die Festnahme von 17 Terrorverdächtigen in Kanada unterstreicht ein wachsendes Gefühl des Schreckens und der Unausweichlichkeit in der gesamten westlichen Welt, das in der hausgemachten Natur der Bedrohung liegt. Doch was wissen wir wirklich über diese Killer unter uns?

Selbstverständlich kennen wir den Umfang ihres allumfassenden Fundamentalismus in groben Zügen und haben eine vage Vorstellung von Al Kaida als einem dezentralen Netzwerk von Zellen in vielen Ländern, das versucht chemische, biologische und vielleicht sogar nukleare Waffen zu erwerben. Auch kennen wir die langfristigen Ziele ihrer Anführer: in muslimischen Ländern die Macht zu ergreifen und die westlichen Staaten anzugreifen, die die weltlichen Regimes in der islamischen Welt unterstützen. Schließlich wissen wir auch, dass es bei dieser Flutwelle des Fanatismus wenige Anführer gibt, ihnen nun jedoch die Sympathie von Millionen einfacher Muslime zuteil wird.

Es hat schon immer einzelne Fanatiker gegeben, die bereit waren, im Namen ihres Glaubens zu sterben und zu töten. Doch erscheinen sie heute infolge der technischen Fortschritte, die das Bombenbauen „demokratisiert“ haben, bei weitem gefährlicher. Wie die Bombenanschläge von London und Madrid gezeigt haben, braucht man schließlich nur ein Mobiltelefon, um den Zeitpunkt einer Explosion – oder einer Reihe von Explosionen – mit tödlicher Effizienz festzulegen.

Unsere Freiheiten und die gesellschaftliche Mobilität tragen ebenfalls zu der Bedrohung bei. Die Menschen bewegen sich billig und relativ bequem um die ganze Welt. Einwanderer können sich in neuen Gesellschaften etablieren, und in demokratischen Staaten können sie völlig ohne jede Überwachung leben. Unsere Freiheiten sind ihr Werkzeug.

Wie bekämpfen wir also einen so ungreifbaren Feind?

Präsident George W. Bush hat eine Möglichkeit gezeigt, wie man es nicht machen sollte: Sein Einmarsch und die Besetzung des Iraks zeigen, dass ein direkter Angriff auf muslimische Staaten den Fanatismus lediglich anheizt. Selbstverständlich sollten zivilisierte Länder nicht den Kampf gegen den extremistischen Islam wegen des Blutvergießens im Irak aufgeben, aber wir müssen erkennen, dass Krieg, Okkupation und erzwungene Unterordnung unter militärische Macht bei vielen einfachen Muslimen lediglich Massendemütigung und Ressentiments ausgelöst haben – Gefühle, die dann in terroristischen Netzwerken kanalisiert werden. Premierminister Tony Blair kann zwar laut bekannt geben, dass die Londoner Anschläge vom Juli letzen Jahres nichts mit Großbritanniens Teilnahme am Irakkrieg zu tun haben, doch sagten die Terroristen selbst, sobald sie gefasst wurden, genau das Gegenteil.

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Einer der Bombenleger von Madrid beschrieb die psychologische Vorbereitung, der er unterzogen wurde, folgendermaßen: Sein Führer „zeigte uns DVDs mit Bildern aus dem Irakkrieg, meistens Bilder von Frauen und Kindern, die von amerikanischen und britischen Soldaten getötet worden waren.“ Es herrscht auch kein Mangel an Bildern von missbrauchten Gefangenen im Gefängnis von Abu Ghraib oder dem Gefangenenlager in Guantanamo Bay, die gleichermaßen mehr dazu beigetragen haben, neue Anhänger für den islamischen Fanatismus anzuwerben als jede Predigt in einer radikalen Moschee.

Einfach ausgedrückt: Bomben, die aus mehreren tausend Metern Höhe abgeworfen werden, töten nicht weniger wahllos als Sprengladungen, die in Zugwaggons gelegt werden. Dies zuzugeben bedeutet nicht, den Terrorismus zu entschuldigen, aber es ist ein erster Schritt, um die Ursachen zu verstehen, die dem Terrorismus zugrunde liegen, und damit ein erster Schritt, um sie zu beseitigen.

Vor allem wird somit anerkannt, dass demokratische Gesellschaften sowohl politische als auch polizeiliche Taktiken anwenden müssen, um fanatischen Terroristen entgegenzutreten. Politik ist aus dem einfachen Grunde notwendig, dass Besatzungsarmeen und Polizei nicht hunderte Millionen von Muslimen dazu zwingen können, ihre Feindseligkeit abzulegen.

Politisch zu handeln heißt, den Irak tatsächlich schnell zu verlassen und eine gerechte Lösung für den palästinensischen Konflikt zu finden, was wiederum ein Ende der Okkupation aller palästinensischen Gebiete erfordert. Natürlich wird die Beruhigung dieser Krisenherde nicht den Fanatismus reaktionärer und selbstmörderischer Aktivisten aushöhlen, noch werden wir dadurch die Begeisterung und den Hass los, der bei den Anführern der islamischen Raserei so deutlich hervortritt. Doch werden ihnen so die Massen der sympathisierenden Muslime genommen, die in den Fanatikern die Einzigen sehen, die versuchen „islamische“ Werte und unterdrückte muslimische Völker zu verteidigen.

Polizeiliche Überwachung ist der zweite Bestandteil einer jeden effektiven Strategie. Größere Anstrengungen beim Eindringen in Terrornetzwerke sowie ein genaueres Wissen über die von den Terroristen geschaffenen sozialen Strukturen sind notwendig, um ihre finanzielle Unterstützung zu sperren. Das kann bedeuten, dass undurchsichtige „Steuerparadiese“ abgeschafft, Telefonanschlüsse angezapft und als besonders gefährlich angesehene Personen identifiziert werden müssen. Die Polizei muss schonungslos vorgehen, auch wenn das mehr Kontrollen und Überwachung bedeutet. Gerade um der Entwicklung kollektiver Sicherheitsängste vorzubeugen, müssen wir das Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Freiheit ändern.

Während die Europäische Union im Hinblick auf konventionelle Waffen hinter den USA zurückbleibt, verfügt sie wahrscheinlich über eine höhere Kapazität zur Bekämpfung des Terrorismus. Aufgrund seiner Geschichte zehrt Europa von einer politischen Reife, die es ihm ermöglichte, Bushs manichäische Weltsicht zu vermeiden, die den Fanatismus des Feindes bloß verstärkt hat, anstatt ihn zu untergraben. Zudem profitiert Europa aufgrund seiner geografischen Lage auch von einer besseren Kenntnis der arabischen und muslimischen Länder und einer weitgehenden Vertrautheit mit der Bevölkerung dort.

Der Westen kann und muss sich in diesem Kampf zum Schutz der von ihm hochgehaltenen Werte durchsetzen. Vielleicht findet er dabei sogar eine neue und dringend erforderliche Motivation, seine bröckelnde Einheit wieder zu stärken.

https://prosyn.org/IL8wpw3de