Warum Konjunkturpakete sinnvoll sind

CAMBRIDGE – Regierungen auf der ganzen Welt schnüren derzeit massive Konjunkturpakete,  die für Friedenszeiten beispiellose Haushaltsdefizite mit sich bringen werden. Das Defizit der Vereinigten Staaten wird in diesem Jahr wahrscheinlich 10 Prozent des BIP überschreiten. Ein Gutteil dieses höheren Defizits ist auf eine Reihe neuer Staatsausgaben zurückzuführen.

Unter normalen Umständen wäre ich gegen höhere öffentliche Ausgaben und einen Anstieg des Haushaltsdefizits. Befindet sich eine Volkswirtschaft näher an der Vollbeschäftigung, kann staatliche Kreditaufnahme zur Finanzierung von Haushaltsdefiziten private Investitionen verdrängen, die die Produktivität  und den Lebensstandard anheben würden. Haushaltsdefizite erhöhen automatisch die Staatsschulden, wodurch in Zukunft höhere Steuern nötig sind, um die Zinsen für diese Schulden zu begleichen. Die sich daraus ergebenden höheren Steuersätze verzerren wirtschaftliche Anreize und schwächen daher die zukünftige Wirtschaftsleistung.  

Selbstverständlich ist ein gewisses Maß an staatlichen Ausgaben wünschenswert oder notwendig. Aber eine Steigerung dieser Ausgaben kommt oftmals einer Verschwendung gleich, die weniger Wert erzeugt als die Verbraucher andernfalls für ihr Geld bekommen würden.

Momentan allerdings werden die höheren Staatsausgaben und das daraus resultierende Haushaltsdefizit mit der Notwendigkeit begründet, den wirtschaftlichen Abschwung zu überwinden – eine krasse Abkehr von der bisherigen Praxis, geldpolitische Maßnahmen zu ergreifen, um Rezessionen entgegenzusteuern.  Die antizyklische Haushaltspolitik geriet aufgrund des Zeitverlustes bei der Umsetzung steuerlicher Maßnahmen und der schwachen Reaktion der Haushalte auf vorübergehende Steuersenkungen weitgehend in Misskredit. Im Gegensatz dazu konnten die Zentralbanken die Zinssätze rasch senken. Durch verschiedene Kanäle konnten so die Ausgaben der Haushalte und Unternehmen gesteigert werden.

Trotzdem befürworte ich den Einsatz von Konjunkturpaketen in den USA, weil die gegenwärtige Rezession viel tiefer und auch anders ist als frühere Abschwünge. Selbst bei einer erfolgreichen antizyklischen Politik wird diese Rezession wahrscheinlich länger anhalten und größeren Schaden verursachen als jede andere Rezession seit der Depression der 1930er Jahre.

Der 40-Prozent-Sturz auf dem amerikanischen Aktienmarkt und der dramatische Einbruch bei den Immobilienpreisen führten zu einem Rückgang des Vermögens amerikanischer Haushalte um mehr als 10 Billionen Dollar. Aus diesem Grund werden die jährlichen Verbraucherausgaben vermutlich um 400 Milliarden Dollar sinken. Und der Zusammenbruch bei Neubauprojekten bewirkte in der Baubranche eine Ausgabenreduktion um weitere 200 Milliarden Dollar. Dieser Nachfragerückgang im Ausmaß von 600 Milliarden Dollar entspricht mehr als drei Prozent des BIP. Wird dieser Entwicklung nicht entgegengesteuert, kommt es dadurch zu weiteren Produktionskürzungen, zum Abbau von Arbeitsplätzen und Einkommenseinbußen, wodurch wiederum die Verbraucherausgaben sinken.

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Die übliche geldpolitische Maßnahme einer Zinssenkung ist nicht in der Lage, diesen krassen Nachfragerückgang umzukehren. Auf den durch den ungewissen Wert forderungsbesicherter Wertpapiere nunmehr dysfunktionalen Kreditmärkten können Banken und andere Finanzinstitutionen keine Mittel aufbringen und sie sind nicht willens, Kredite zu vergeben. Aus diesem Grund führen die verringerten Zinssätze der Zentralbanken nicht zu einer Erhöhung der Ausgaben für zinsempfindliche Investitionen und den Konsum.

Wenn wir den gegenwärtigen Abschwung also umkehren wollen, gibt es keine Alternative zu haushaltspolitischen Maßnahmen. Die daraus resultierenden höheren Staatsschulden sind der Preis, den wir und zukünftige Generationen für jene Fehler bezahlen werden müssen, die zur aktuellen wirtschaftlichen Situation führten. Aufgrund dieser Fehler kam es zu einer Unterbewertung des Risikos und einem daraus resultierenden exzessiven Einsatz von Fremdkapital.

Für die Unterbewertung des Risikos und den Anstieg des Fremdkapitals gibt es zahlreiche Gründe. Die außergewöhnlich lockere Geldpolitik am Anfang des Jahrzehnts trug zu einem explosionsartigen Anstieg der Häuserpreise und zur Bereitschaft der Finanzinvestoren bei, minderwertige Finanzprodukte zu kaufen, um höhere Erträge zu erzielen. Die Ratingagenturen verkalkulierten sich hinsichtlich des Wertes der forderungsbesicherten Wertpapiere.  

Der Grund für den Anstieg des Fremdkapitals ist teilweise in der Politik der amerikanischen Regierung zu suchen, die darauf abzielte, den Hausbesitz bei Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen zu fördern. Diese Gruppe erwies sich aber letztlich nicht in der Lage, diesen Lebensstil auch zu finanzieren. Die Bankenaufsicht kümmerte sich nicht um niedrige Kapitalquoten und die schlechte Qualität der Vermögenswerte vieler Institutionen. Eine bedeutende Herausforderung für die Zukunft ist, jene institutionellen Praktiken in Ordnung zu bringen, die zu diesen Problemen führten.

Die neue Obama-Administration und der Kongress feilen noch an der Struktur des Konjunkturpaketes für die USA. Obwohl ich grundsätzlich für ein großes Konjunkturpaket eintrete, bin ich jedoch gegen bestimmte, momentan erwogene Elemente des Plans.

Ungeachtet der Art der Maßnahmen, die ergriffen werden, um die Konjunktur anzukurbeln, müssen Regierungen auf der ganzen Welt zur Tat schreiten, um die dysfunktionalen Kreditmärkte in Gang zu bringen. Andernfalls werden die Kredite nicht fließen und das Wachstum wird sich nicht wieder einstellen. Für eine Wiederbelebung der Kreditmärkte in den USA ist es notwendig, die durch negatives Eigenkapital verursachten Hypothekenausfälle zu stoppen. Das US-Finanzministerium verschwendete im Jahr 2008 wertvolle Zeit, indem man die vom Kongress zur Verfügung gestellten Mittel für die Bewältigung der Probleme am Häusermarkt nicht in Anspruch nahm. Es besteht die Hoffnung, dass der Kongress und die neue Administration diese Angelegenheit nun in Angriff nehmen.

Wenn die Rezession vorbei ist, werden die USA und praktisch jedes andere Land auch wesentlich höhere Schuldenquoten aufweisen. Dann wird es von Bedeutung sein, Strategien zu entwickeln, mit denen man das relative Niveau der Staatsausgaben schrittweise senkt, um Überschüsse zu erzielen und die Schuldenlast zu vermindern.

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