Erdöl aus Nahost realistisch betrachtet

TEL AVIV – Ganz gleich, wie wichtig aufstrebende Ölmächte außerhalb des Nahen Ostens werden: Die Region wird über Jahre hinweg die wichtigste Energiequelle der Welt bleiben. Anders als Russland agieren die OPEC-Mitglieder in Nahost als Kartell, das weit unter Kapazität produziert. Bei den gegenwärtigen Förderquoten wird Russland bis zum Jahr 2020 aus dem Rennen sein. Die Bedingungen in Afrika sind nicht  wesentlich anders.

Das bedeutet, dass die Energiesicherheit weiterhin stark von der Politik im Nahen Osten abhängen wird und dass die Ölproduzenten der Region weiter versuchen werden, dem Weltmarkt die Bedingungen zu diktieren. Besondere Beachtung gebührt dabei den Verbindungen zwischen militärischen Ambitionen und dem Transfer von Reichtum, den Ölexporte mit sich bringen können. Das iranische Atomwaffenprogramm und Iraks beeindruckende militärische Aufrüstung der Neunzigerjahre veranschaulichen die tödliche Verbindung zwischen extremer Militarisierung und der Macht des Energiemarktes.

Debatten um die Energiesicherheit werden, wie immer, von politisch motivierten Drohungen in Bezug auf die Erdölversorgung dominiert. Wie der Fall Irak zeigt,  können Kriege und innerstaatliche Umbrüche nicht nur die kurzfristige Versorgung mit Erdöl, sondern auch die langfristige Produktionsleistung eines Landes beeinflussen, weil Instandhaltung und Investitionen behindert werden.

Die Bedrohung der Ölversorgung aus dem Nahen Ostens ist dennoch übertrieben. Allen Widrigkeiten und Vorhersagen zum Trotz haben die Regierungen im Nahen Osten sowohl die Fehlschläge des panarabischen Nationalismus als auch die Herausforderungen des islamischen Extremismus überlebt. Auch die Sorge, dass Terrorangriffe die Erdölindustrie in die Knie zwingen könnten ist nicht sonderlich plausibel. Bisher hat sich der durch solche Angriffe angerichtete Schaden als kurzfristig erwiesen.

Auch das Schreckensszenario einer israelisch-iranischen Kraftprobe, die zu einer iranischen Blockade der Straße von Hormus führt, ist nicht besonders glaubwürdig. Es ist fraglich, ob Iran über die militärische Kapazität verfügt die Meerenge zu blockieren und, wenn Iran es versuchen sollte, würde es sich als Reaktion darauf einer wirklich globalen Koalition gegenübersehen. Zudem würde sich Iran mit einer Blockade der Straße von Hormus selbst im Wege stehen, da Irans eigener Energiebedarf aufgrund fehlender Raffineriekapazitäten stark betroffen wäre.

Obwohl die mystische Macht von Erdöl als Waffe nach wie vor im Raum steht, hat sie sich also als ohnmächtig erwiesen. Einige betrachten Erdöl weiterhin als „das Energieäquivalent zu Atomwaffen“. Die Wahrheit ist jedoch, dass das arabische Erdölembargo des Jahres 1973 ein kolossaler Misserfolg war.

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Wäre es erfolgreich gewesen, wäre der ägyptische Präsident Anwar Sadat nur wenige Jahre danach nicht nach Jerusalem geeilt, um ein Friedensabkommen mit Israel zu schließen. Die Waffe Erdöl hat Israel weder gezwungen zu seinen Grenzen von 1967 zurückzukehren, noch waren die Ölmächte über lange Zeit dazu in der Lage, die durch den Rückgang der Erdöleinnahmen entstandenen Kosten für ihre eigene Wirtschaft zu absorbieren. Ein massiver Einsatz von Erdöl als Waffe, vergleichbar mit dem Erdölembargo von 1973, kommt heutzutage nicht in Frage.

Dennoch prophezeien einige, unter ihnen der ehemalige CIA-Direktor James Woolsey, dass eine radikale Machtübernahme in Saudi-Arabien den Einsatz der Ölwaffe gegen den Westen herbeiführen könnte. Radikal ist jedoch nicht gleichbedeutend mit irrational, und welche religiöse oder politische Schattierung ein saudischer Staat auch annehmen würde: Auf sein Mittel zur Macht könnte er nicht verzichten. Der kolossale Reichtum, der durch Erdöl entsteht, macht die Produzenten nicht weniger abhängig vom Öl als die Verbraucher.

Die wirkliche Bedrohung besteht nicht darin, dass ein radikales Saudi-Arabien den Ölexport einstellen könnte, sondern dass es im Falle einer Radikalisierung weiter exportiert. Dann würden Milliarden von Petrodollars als finanzielle Feuerkraft hinter weltweiten wahabitischen Vorhaben stehen.

Aber ist dieses Szenario wirklich so anders als das, mit dem wir zurzeit konfrontiert sind? Schließlich fördert der saudische Erdölreichtum den Terrorismus schon seit geraumer Zeit. Al-Qaida ist sichtlich zufrieden mit der Macht der Saudis auf den Ölmärkten. In einer ihrer Erklärungen hat sie sogar zugegeben, dass Saudi-Arabien „sicher bleiben muss…da es die primäre Geldquelle für die meisten Dschihad-Bewegungen ist“.

Wenn Energiesicherheit die Verfügbarkeit einer ausreichenden Versorgung zu erschwinglichen Preisen bedeutet, dann entsteht das eigentliche Sicherheitsproblem durch die Macht des Marktes, durch ein kartellbasiertes Preissystem, das künstlich hohe Preise diktiert, die in einem von Wettbewerb bestimmten Markt niemals existieren könnten.

Das Ziel, die Kontrolle über den Markt zu behalten erklärt den Widerstand der OPEC gegen das Kyoto-Protokoll, dessen Implementierung die weltweit Erdölnachfrage um bis zu 20% senken könnte und es erklärt ihre Angst, dass die USA dem Beispiel Europas folgen und die Abhängigkeit vom Öl durch eine drastische Erhöhung der Energiesteuern bekämpfen könnten.

Präsident Barack Obama hat wiederholt davor gewarnt, dass der Transfer von Reichtum an feindliche erdölproduzierende Länder für die nationale Sicherheit der USA eine erhebliche Bedrohung darstellt. Sein Vorhaben den Ölverbrauch in den USA wesentlich zu verringern, um die Ziele zur Reduzierung der Kohlendioxidemissionen zu erreichen und ein Zehnjahresplan zur Entwicklung sauberer Energien sind lobenswert. Doch eine Politik, die auf eine Verringerung des Ölverbrauchs abzielt wird zwangsläufig mit der dringenden Notwendigkeit kollidieren die amerikanische Wirtschaft neu zu beleben.

Angesichts der dringenden Notwendigkeit sich mit den Herausforderungen zu befassen, die durch die Probleme in Iran, Irak und Afghanistan aufgeworfen wurden, ist die Wahrung der Stabilität in Nahost aus Gründen der Energiesicherheit zweitrangig geworden. Doch selbst wenn es den USA gelingt den Ölverbrauch um 17% zu senken, wären sie immer noch abhängig vom Öl aus dem Golf und somit von der Energiesicherheit in der Region.

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