AI Bloomberg/Getty Images

Wie bedrohlich sind disruptive Technologien?

CAMBRIDGE – Die ständigen Verbesserungen bei fahrerlosen Autos lassen mich zur Überzeugung kommen, dass auf den Straßen in nicht allzu ferner Zukunft wohl viele Autos und Lastkraftwagen ohne menschliche Lenker unterwegs sein werden. Ebenso bin ich überzeugt, dass Computer und Roboter aufgrund der Revolution im Bereich künstlicher Intelligenz viele Tätigkeiten ausüben werden, die derzeit qualifizierte Arbeitnehmer verrichten.  

Kein Wunder also, dass sich viele Menschen Sorgen um das Schicksal derjenigen machen, deren Arbeitsplätze aufgrund der jüngsten Entwicklungen im Bereich disruptiver Technologien gefährdet sind – oder bereits verloren gingen. Was wird mit den Millionen Männern und Frauen geschehen, die heute Lastkraftwagen und Taxis fahren, wenn diese Fahrzeuge einst ohne Lenker auskommen? Was wird aus den Buchhaltern und Mitarbeitern im Gesundheitswesen, wenn Computer in der Lage sein werden, deren Tätigkeiten auszuführen?

Etliche Analysten schätzen, dass ein großer Teil der Erwerbstätigen von heute freigesetzt werden könnte, da immer weniger Arbeitskräfte benötigt werden, um das derzeitige Volumen an Waren und Dienstleistungen anzubieten. 

Ich vernehme diese sorgenvollen Äußerungen und erkenne, dass man sie nicht so einfach abtun kann. Dennoch bin ich optimistisch, dass sich zumindest die Vereinigten Staaten erfolgreich an die neuen Technologien anpassen werden. Es wird wohl einige Verlierer und auch Gewinner geben, aber insgesamt wird die amerikanische Öffentlichkeit profitieren. Und wer seinen Job aufgrund der neuen Technologien verliert, wird bald in anderen Bereichen Beschäftigung finden.

Ich glaube, es besteht wenig Grund zur Sorge, dass die neuen Technologien zu hoher Arbeitslosigkeit führen werden. Die technologischen Umwälzungen werden die Produktion steigern und den potenziellen Lebensstandard der Bevölkerung anheben. Wer arbeiten will, wird auch weiterhin Arbeit finden.

Warum ich so optimistisch bin? Schlicht und einfach aufgrund der geschichtlichen Entwicklung. Rascher technologischer Wandel ist kein neues Phänomen. Wir haben jahrelang miterlebt, wie Menschen durch Maschinen und Computer ersetzt wurden. Und dennoch: trotz der Höhen und Tiefen des Konjunkturzyklus nimmt die US-Wirtschaft erneut Kurs in Richtung Vollbeschäftigung.

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Am deutlichsten sichtbar ist dies in der Industrieproduktion. Roboter und automatisierte Maschinen sind an die Stelle der Produktionsarbeiter getreten, wodurch die Zahl der Arbeitsplätze in diesem Sektor von 13 Millionen im Jahr 1950 auf lediglich 9 Millionen heute sank, obwohl der reale Wert der Industrieproduktion um 75 Prozent anstieg. Und wer in der Produktion seinen Job verlor, ist heute in anderen Bereichen der Wirtschaft beschäftigt.

Auch in vielen Teilen des Dienstleistungsbereichs wurden Menschen durch Computer ersetzt. Heute sehen wir nicht mehr viele Fahrstuhlführer. Telefonisten sind von der Bildfläche verschwunden. Auf Flughäfen bekommen die meisten Menschen ihre Bordkarten bei automatisierten Abfertigungsschaltern. In Anwaltskanzleien und Steuerberatungsunternehmen kommen heute für Tätigkeiten, die früher qualifizierte Arbeitskräfte verrichteten, Computer zum Einsatz.

Und dennoch liegt die Arbeitslosigkeit in den USA momentan bei lediglich 4,9 Prozent und dieser Wert ist sogar niedriger als der Durchschnittswert der letzten Jahrzehnte. Unter amerikanischen College-Absolventen - die 40 Prozent der amerikanischen Erwerbstätigen bilden - beträgt die Arbeitslosenrate gar nur 2,7 Prozent. Da der Anteil der College-Absolventen in der jungen Bevölkerung höher liegt als unter älteren Menschen, wird die Gesamt-Arbeitslosigkeit auch dann im Zaum gehalten, wenn diese Gruppe in die Jahre kommt und ihr Anteil an der Erwerbsbevölkerung insgesamt steigt.

Die durch den verstärkten Einsatz von Robotern und Computern ermöglichte steigende Produktion pro Arbeitskraft wird den Arbeitnehmern überdies weniger Arbeitsstunden und mehr Freizeit bescheren. Arbeitnehmer in den USA arbeiten derzeit im Schnitt 1.790 Stunden pro Jahr. Das sind um 30 Prozent mehr als ihre deutschen Pendants, die im Schnitt nur auf 1.371 Stunden jährlich kommen.

Eine Verkürzung der Arbeitszeit führt zu verbesserter Lebensqualität wie längere Ferien und längere Wochenenden. Weniger Arbeitsstunden bieten auch mehr Möglichkeiten anderen Aktivitäten nachzugehen, zu reisen oder auswärts zu essen, wodurch wiederum Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich geschaffen werden. Aufgrund der alternden Bevölkerung wird sich auch der Bedarf an Arbeitskräften für Dienstleistungen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen erhöhen.  

Diese Trends werden die Nachfrage nach Beschäftigten im Dienstleistungssektor steigen lassen, auf den derzeit für 81 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse in den USA entfallen. Der Anteil an Arbeitnehmern im US-Dienstleistungssektor steigt Jahr für Jahr und dort werden auch diejenigen unterkommen, die ihre Arbeitsplätze in der Industrieproduktion oder im Bauwesen verlieren.

Denn viele Jobs in der Dienstleistungsbranche können Computer und Roboter einfach nicht übernehmen. Obwohl sie für manche zunehmend benötigte Leistungen im Bereich der Altenpflege eingesetzt werden können, ist es beispielsweise unmöglich, dass Maschinen Tätigkeiten übernehmen, die eine Berührung der Kunden und Patienten erfordern. Diese Überlegungen wird man bei der Berufswahl berücksichtigen und auch das wird die Arbeitslosigkeit in Zukunft im Rahmen halten.

Die Arbeitslosenrate in den Vereinigten Staaten beträgt derzeit die Hälfte des entsprechenden Wertes in der Europäischen Union. Dafür bestehen viele Gründe, aber ganz entscheidend ist, dass es in den USA keine Arbeitsgesetze oder gewerkschaftlichen Regelungen gibt, die Arbeitnehmer und Unternehmen davon abhalten, sich an die neuen Technologien anzupassen. Wenn es den USA gelingt, einen relativ freien Arbeitsmarkt zu erhalten, werden sich die Arbeitnehmer positiv auf bahnbrechende neue Technologien einstellen. 

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/uz0C5mrde