Bretton Woods III

SINGAPUR – Zahlreiche Analysten und Beobachter sind der Ansicht, dass die globalen Ungleichgewichte, die die Weltwirtschaft in den Jahren vor der Krise des Jahres 2008 prägten, mittlerweile in erheblichem Ausmaß abgebaut wurden. Obwohl es zutrifft, dass sich Chinas Leistungsbilanzüberschüsse und Amerikas Defizite seit damals etwas abgeschwächt haben, stellt sich die Frage, ob die Ungleichgewichte tatsächlich wieder ins Lot gebracht wurden. Noch bedeutsamer ist die Frage, ob in der Weltwirtschaft nach der Krise sowohl Wachstum als auch Gleichgewicht hergestellt werden können.

Um diese Fragen zu beantworten, ist das Verständnis jener Dynamik von wesentlicher Bedeutung, die diesen Ungleichgewichten zugrunde liegt. Die Leistungsbilanz stellt die Differenz zwischen Investitionsrate und Sparquote in einer Ökonomie dar. Im Jahr 2007 betrug die Sparquote in den USA 14,6 Prozent des BIP. Die Investitionsrate lag jedoch bei 19,6 Prozent, wodurch ein Leistungsbilanzdefizit entstand. Im Gegensatz dazu wies China eine fixe Investitionsrate von 41,7 Prozent des BIP und eine Sparquote von 51,9 Prozent auf, was einem großen Überschuss entsprach.  

Seit dem Jahr 2007 hat sich das Leistungsbilanzdefizit der USA zwar verringert, allerdings nicht aufgrund einer höheren Sparquote. Vielmehr schrumpfte das Zahlungsbilanzdefizit, weil die Investitionsaktivität zusammenbrach, während Amerikas Gesamtsparquote aufgrund der sich verschlechternden Staatsfinanzen auf unter 13 Prozent des BIP fiel. Unterdessen bleibt Chinas Sparquote beharrlich hoch. Der Überschuss hat sich verringert, weil man die Investitionen noch höher auf etwa 49 Prozent des BIP schraubte. Mit anderen Worten: Die Amerikaner sparen heute noch weniger als vor Ausbruch der Krise und die Chinesen investieren noch mehr.

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