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Die Finanzierung unseres Überlebens

LONDON – Angesichts dessen, dass sich die Klimagefahren massiv vergrößern, hat die Pandemiepolitik der Industrieländer unsere Zukunft sehr unsicher gemacht. Die Welt steht heute vor einer dreifachen Herausforderung: Die entwickelten Volkswirtschaften müssen sich nicht nur stabilisieren, sondern auch größere Fortschritte auf dem Weg hin zu Nettonullemissionen machen. Außerdem müssen sie gewährleisten, dass die Entwicklungs- und Schwellenländer das nötige Kapital erhalten, um wachsen und ihre Bürger schützen zu können. Dies erfordert erhebliche zusätzliche finanzielle Ressourcen.

Gegen die COVID-19-Krise haben die Politiker der Industrieländer nicht nur massive, schuldenfinanzierte Fiskalstimuli eingeführt, um Unternehmen und Haushalte zu stabilisieren, sondern auch eine extrem lockere Geldpolitik, um die Wirtschaft liquide zu halten. Zwar konnten diese Maßnahmen Rezessionen, Unternehmensbankrotte und stärkere Armut verhindern, aber gleichzeitig haben sie – gemeinsam mit den Störungen der Lieferketten und Russlands Krieg in der Ukraine – die höchste Inflation seit über vier Jahrzehnten verursacht. Darauf haben die Zentralbanken dann mit immer höheren Zinsen reagiert, was die weltweiten monetären Bedingungen verschärft hat. Nun stehen Dutzende von Entwicklungs- und Schwellenländern vor Schuldenproblemen, da sich ihre Kreditkosten plötzlich massiv erhöht haben.

Zwar haben sich sowohl sie als auch die Industrieländer gegen dieses volatile wirtschaftliche Umfeld als sehr widerstandsfähig erwiesen, und manche von ihnen – wie Indien und einige afrikanische Länder – konnten sogar weiterhin robust wachsen. Aber die Risiken steigen: Über 60% der afrikanischen Länder mit niedrigem Einkommen leiden unter Verschuldungsproblemen, Europa steht am Rand einer Rezession, die US-Märkte sind volatil und Chinas Erholung ist ins Stocken geraten. Außerdem wird die finanzielle Stabilität dadurch gefährdet, dass die Bilanzen von Banken und anderen Finanzinstituten wegen der steigenden Zinsen unter Druck geraten sind.

Das schlimmste Problem ist, dass die massiven Zerstörungen durch die globale Erwärmung schnell zunehmen, weshalb UN-Generalsekretär António Guterres kürzlich gewarnt hat, wir hätten eine „Klimaklippe“ erreicht. Der Weltklimarat IPCC hat berechnet, dass wir, wenn wir die Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur auf 1,5° Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau beschränken wollen, die Treibhausgasemissionen (gegenüber 2010) bis 2030 um 45% senken und bis 2050 Nettonullemissionen erreichen müssen. Laut dem Netzwerk für ein grünes Finanzsystem sind dazu bis 2050 Gesamtinvestitionen in Höhe von 275 Billionen Dollar nötig.

Und wenn wir das Problem weiter vor uns herschieben, wird sich diese Summe exponentiell erhöhen. Deshalb müssen sofort erhebliche zusätzliche Finanzmittel bereitgestellt werden.

Die Natur des Problems

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Glücklicherweise können solche Investitionen, wenn sie richtig getätigt werden, den Volkswirtschaften einen neuen Wachstumsimpuls geben, mit dem nicht nur die Vorgaben des Pariser Klimagipfels erreichbar sind, sondern auch die Ziele Nachhaltiger Entwicklung (ZNE). In Finance for Climate Action, einem Bericht des Grantham Research Institute, den ich gemeinsam mit Nicholas Stern und Amar Bhattacharya verfasst habe, kommen wir zu dem Ergebnis, dass sich dazu die Ausgaben für klimabezogene Entwicklungsziele bis 2030 (gegenüber dem vorpandemischen Niveau) vervierfachen müssen.

Für die Entwicklungs- und Schwellenländer (ohne China) bedeutet dies, bis Ende des Jahrzehnts jährlich 2,4 Billionen Dollar für drei wichtige Ziele auszugeben: den Wandel der Energiesysteme; den Aufbau von Klimaresilienz; und die Förderung des natürlichen Kapitals sowie einer nachhaltigen Landwirtschaft. Und um die ZNE insgesamt zu erreichen, müssen sich die Gesamtentwicklungsausgaben (einschließlich der 2,4 Billionen) gegenüber dem vorpandemischen Niveau bis 2030 auf jährlich etwa 5,3 Billionen Dollar mehr als verdoppeln.

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Stattdessen haben die meisten Länder – insbesondere seit Russlands Krieg in der Ukraine – ihre klimapolitischen Zusagen verringert: In Europa wurden bereits vom Netz genommene Kohlekraftwerke reaktiviert, und in den Vereinigten Staaten werden sogar neue Fördergenehmigungen für fossile Energieträger erteilt. Wichtige Länder weigern sich, ihren fairen Anteil beizutragen, und untergraben so das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung (das sowohl im Abkommen von Paris als auch im Kyoto-Protokoll vereinbart wurde). Auch haben die Industriestaaten ihr 15 Jahre altes Versprechen, den Entwicklungsländern jährlich 100 Milliarden Dollar zur Klimaanpassung und Linderung der Folgeschäden zur Verfügung zu stellen, noch nicht erfüllt.

Immerhin war die neue „Verlust- und Schadensfazilität“, die letztes Jahr auf der Klimawandelkonferenz der Vereinten Nationen (COP27) angekündigt wurde, ein Schritt in die richtige Richtung. Und es gibt weitere Körperschaften – wie die Internationale Entwicklungsorganisation, der Grüne Klimafonds, der Afrikanische Entwicklungsfonds, die Resilienz- und Nachhaltigkeitsstiftung sowie die Stiftung für Armutsverringerung und Wachstum – die dazu beitragen, Finanzierungs- und Zuweisungslücken in der globalen Finanzarchitektur zu füllen. Aber all diese Mechanismen müssen ausreichend finanziert werden.

Ebenso wichtig ist, dass sich die Entwicklungsländer beim Kampf gegen die Klimakrise nicht zusätzlich verschulden müssen. Obwohl Afrika nur 4% der globalen Kohlenstoffemissionen verursacht, gibt der Kontinent bereits 5-15% seines BIP gegen Klimaschäden aus – Aufwendungen, die andere Entwicklungsprioritäten verdrängen und die staatliche Verschuldung erhöhen. Dies wird so weiter gehen, bis die Industrieländer ein effektives Rahmenwerk schaffen, das den Umgang mit diesem Verschuldungsdruck regelt. Der Gemeinsame Entschuldungsrahmen der G20 bleibt weiterhin unbefriedigend.

Entscheidend dafür, die massive globale Klimafinanzierungslücke zu schließen, werden die multilateralen Entwicklungsbanken sein. Aber auch sie werden mehr Geld von den Industriestaaten benötigen, damit sie Entwicklungsmittel bereitstellen und mehr Kapital aus dem privaten Sektor einbeziehen können. Außer Frage steht, dass Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen zusätzliche vergünstigte Finanzierungsmöglichkeiten brauchen (also Kredite, die günstiger als zu Marktbedingungen erteilt werden). Zum Glück gibt es heute eine große Vielfalt schuldenfreier Finanzierungsmöglichkeiten – von der Ausgabe von Sonderziehungsrechten (der Buchwährung des Internationalen Währungsfonds) über globale Kohlenstoffsteuern für den Flug- und Schifffahrtssektor bis hin zur Verhinderung illegaler Geldflüsse, der Entwicklung transparenter Kohlenstoffmärkte und der Nutzung privater Spenden.

Aber wir müssen auch mehr Kapital aus dem privaten Sektor anziehen. Dazu sind Kreditförderungen und Werkzeuge zur Risikominderung erforderlich, um Investitionen zu schützen und lohnende, dem Risiko angepasste Gewinnspannen zu gewährleisten. Außerdem müssen die Regulierungsbehörden im Zuge der Einführung neuer Bankenregeln anhand des Baseler Rahmenwerks aufpassen, dass sie damit die Kapitalverfügbarkeit nicht verringern und den Schwellenländern keine zu hohen Kosten verursachen.

Der Innovationsfaktor

Finanzielle Innovationen sind von entscheidender Bedeutung. Wir brauchen mehr Ressourcen, aber wir müssen sie auch anders bereitstellen als früher. Während Länder, Unternehmen und Investoren in den letzten Jahren versucht haben, in der neuen Klimawirtschaft Fuß zu fassen, hat sich der Markt für nachhaltige Finanzierung schnell vergrößert. Es gab jede Menge Innovationen, um für bevorzugte Sektoren – wie Energie, Landnutzung, Ackerbau und Artenvielfalt sowie Transport- und Bauwesen – erschwingliche Finanzmittel zu mobilisieren. Wichtig ist aber, den privaten Sektor und die Entwicklungsbehörden dazu zu bringen, enger zusammen zu arbeiten.

Die heute am stärksten verbreiteten Innovationen sind nachhaltige (grüne oder soziale) Anleihen, an ESG-Kriterien gekoppelte Kredite und öffentliche Anleihen zur Finanzierung ökologischer oder sozialer Güter. Weitere Instrumente sind Schulden-für-Klima-Swaps, Programme zur Finanzierung nachhaltiger Angebotsketten sowie verschiedene nachhaltigkeitsorientierte Kredit- und Investitionsinitiativen. Laut dem Institut für Internationales Finanzwesen soll das Vergabevolumen nachhaltiger Kredite (auch für „soziale“ und andere Zwecke, die nicht direkt mit der Energiewende zusammenhängen) in diesem Jahr auf 1,7 Billionen Dollar steigen.

Darüber hinaus werden solche Instrumente immer stärker eingesetzt. Beispielsweise haben die Citibank, die Weltbank und das Land Südafrika kürzlich eine neuartige, ergebnisorientierte Artenschutzanleihe ausgegeben, mit der der Bestand von Spitzmaulnashörnern in zwei Schutzgebieten geschützt und vergrößert werden soll. Auch sogenannte Schulden-für-Natur-Swaps werden verstärkt eingesetzt und bringen den privaten Sektor mit Wohltätigkeitsorganisationen und Entwicklungspartnern zusammen. Und das mittelamerikanische Land Belize hat mithilfe von Blue Bonds for Ocean Conservation – einem Gemeinschaftsprojekt mit der US Development Finance Corporation, The Nature Conservancy, der Credit Suisse, und der AXA – seine hohe Schuldenlast dadurch verringert, dass es bestehende Kredite günstig zurückkaufen und damit sein Budget für Meeresschutzprogramme verdreifachen konnte.

Ein weiteres wichtiges Thema für Entwicklungsländer ist, die Kosten ihres Marktzugangs zu verringern. Die Zinsaufschläge, die sie für Anleihen zahlen müssen, sind unerschwinglich, und so werden neue Initiativen wie die Fazilität für Liquidität und Nachhaltigkeit entwickelt, um einen Sekundärmarkt für europäische, nahöstliche und afrikanische Anleihen zu schaffen. Dies soll dazu beitragen, die Aufschläge zu verringern und weitere Investoren mit einzubeziehen.

Außerdem existieren immer mehr gemeinsame Finanzierungsmöglichkeiten, aus denen Investoren und Entwickler je nach ihrer Risikotoleranz auswählen können. Und zunehmend erklären sich Wohltätigkeitsorganisationen bereit, Erstverluste zu übernehmen oder Zuschüsse zu geben, um die Vorbereitung und frühe Entwicklung von Projekten zu unterstützen – so wie es die Global Energy Alliance for People and Planet getan hat.

Aber die Klimakrise verursacht auch neue Gefahren für die Finanzstabilität, zu deren Bewältigung neue und innovative Werkzeuge erforderlich sind. Allein 2021 haben Naturkatastrophen schätzungsweise 270 Milliarden Dollar wirtschaftlicher Verluste verursacht – von denen nur 111 Milliarden versichert waren. Der Versicherungssektor hat die Zeichen der Zeit erkannt und trifft innovative Maßnahmen, um die Anpassungsbemühungen zu unterstützen und sein Geschäft zu stabilisieren – darunter neue Indizes, Methodiken und Werkzeuge zur Risikoeinschätzung. Die Ocean Risk and Resilience Action Alliance beispielsweise arbeitet daran, die Bewertung von Schiffen für Versicherungszwecke zu verbessern – und zu gewährleisten, dass Kriterien für illegalen, undokumentierten und unregulierten Fischfang in die Richtlinien zur Risikoeinschätzung einbezogen werden.

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Außerdem gibt es die Märkte für Kohlenstoffzertifikate, die den Unternehmen Wege bieten, mithilfe sauberer Technologien und Prozesse ihre Nettonullziele zu verfolgen – und Städten und Gemeinden des Globalen Südens Ressourcen zu verschaffen, um Projekte Nachhaltiger Entwicklung durchführen zu können. So wurde in Uganda durch Kohlenstoffzertifikate die lokale Produktion und Verteilung sauberer, kosteneffektiver Brennstoffkocher finanziert. So konnten die Emissionen verringert, die Gesundheit der Menschen verbessert und die Brennstoffkosten (um bis jetzt über 75 Millionen Dollar) verringert werden.

Diese ersten Erfolgsgeschichten zeigen einen klaren Weg auf, der aus unserer „Mehrfachkrise“ hinaus führen kann: Um über das nächste Vierteljahrhundert hinweg Wachstum zu gewährleisten, brauchen wir mehr vergünstigte Ressourcen sowie finanzielle und technologische Innovationen. Jetzt müssen wir nur noch genug politischen Willen aufbringen, um unseren momentanen Kurs zu ändern.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/nv323Itde