teixeira1_ LUIS ROBAYOAFP via Getty Images_bolsonaroclimatechange Luis Robayo/AFP via Getty Images

Die populistische Gefahr für das Klima

BRASÍLIA – Der reaktionäre Populismus bildet heute das größte Hindernis für die Bewältigung des Klimawandels. Da dessen unverblümte Leugnung keine Option mehr ist, positionieren sich populistische Politiker zunehmend als Klimaskeptiker und Bremser, wobei sich dieser neue Ansatz als durchaus heimtückisch erweist. Der Weltklimarat warnt, dass die weltweiten Treibhausgasemissionen in den nächsten drei Jahren ihren Höchststand erreichen müssen, damit das im Pariser Abkommen festgelegte Ziel von 1,5 Grad Celsius in Reichweite bleibt. Die Taktik der Populisten von heute, wirksame Maßnahmen hinauszuzögern, entwickelt sich daher zu einer existenziellen Bedrohung. 

Dieser Trend ist umkehrbar, aber es wird ein zäher Kampf. Nachdem der frühere US-Präsident Donald Trump die amerikanischen Verpflichtungen im Bereich Klimaschutz aufgekündigt hat, ist es der Regierung Biden gelungen, trotz erheblichen Gegenwinds ein bahnbrechendes Klimaschutzgesetz zu verabschieden. Doch für die populistischen Verhinderer der Klimaschutzmaßnahmen bleiben weitere Möglichkeiten bestehen. Aus einer kürzlich in Nature veröffentlichten Studie geht hervor, dass es in den USA landesweit zwar deutlich mehr Befürworter als Gegner der Klimaschutzmaßnahmen gibt, die meisten Amerikaner jedoch der Meinung sind, das Gegenteil sei der Fall. Angesichts dieser „falschen sozialen Realität“ dürfte die Klimagesetzgebung bei den Zwischenwahlen im November zu einem Spaltthema werden.

Noch bedeutsamer ist die Entwicklung womöglich in Brasilien, wo unter Präsident Jair Bolsonaro eine Normalisierung des reaktionären Populismus droht. Es ist kein Zufall, dass Trumps ehemaliger Chefstratege Steve Bannon die Wahl in Brasilien als einen Wendepunkt für das internationale System sieht, die er als „zweitwichtigste Wahl der Welt“ bezeichnet. Taktiken im Stile Bannons haben in den letzten Jahren in vielen Ländern die Oberhand gewonnen und den öffentlichen Diskurs über Themen wie Einwanderung, reproduktive Rechte und Impfstoffe vergiftet.

Es bestehen zahlreiche Gründe dafür, warum aufstrebende und etablierte Autoritäre den Klimaschutz als besonders attraktive Zielscheibe ihrer Aktivitäten betrachten, doch keiner hat etwas mit dem Klima selbst zu tun. Der erste Grund sind die gefühlten Kosten. Auch wenn Dekarbonisierung und der Aufbau einer widerstandsfähigeren Wirtschaft letztendlich viel billiger kommen, als die Deckung der Kosten einer ausufernden Klimakrise, werden derartige Ausgaben immer das Ziel böswilliger Angriffe politischer Opportunisten sein.

Außerdem werden politische Maßnahmen, die sich an internationalen Abkommen wie dem Pariser Klimaabkommen von 2015 orientieren, von den Populisten stets als Souveränitätsverlust diffamiert. Es ist keine Überraschung, dass der Brexit-Architekt Nigel Farage mittlerweile für ein Referendum agitiert, im Rahmen dessen über die erklärte Verpflichtung des Vereinigten Königreichs, Null-Emissionen zu erreichen, abgestimmt werden soll.  

Eine allzu simple Auffassung von nationaler Souveränität liegt auch Bolsonaros Weigerung zugrunde, in internationalen Gremien über den Amazonas zu diskutieren, obwohl dessen Rolle als Kohlenstoffsenke für die Welt von entscheidender Bedeutung ist. Bolsonaros Versäumnis, kriminelle Aktivitäten im Amazonasgebiet zu bekämpfen, hat die mutwillige Vernichtung von Wäldern, Flüssen und Menschen (darunter indigene Gruppen, Umweltaktivisten und Journalisten) in Brasilien ermöglicht. Wie auch im Falle anderer Rechtspopulisten läuft „Souveränität” für ihn darauf hinaus, Rechte einzufordern, aber die damit verbundenen Pflichten zu negieren.

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Aus Zynismus oder Naivität weigern sich die Populisten anzuerkennen, dass eine Stärkung nationaler Grenzen keine Lösung für unsere größten Probleme bietet. Das gilt für den Klimawandel und den Verlust der biologischen Vielfalt ebenso wie für die diesjährige Energie- und Nahrungsmittelkrise, Covid-19 und die zunehmenden Schuldenbelastungen. Aus diesem Grund könnten Klimaschutzmaßnahmen und reaktionärer Populismus noch jahrzehntelang miteinander in Konflikt stehen und das inmitten von Klimakatastrophen, sich verschärfender Ungleichheiten und eines überall brüchiger werdenden Gesellschaftsvertrags.

Laut einer aktuellen, in 25 Ländern über mehr als ein Jahrzehnt durchgeführten Studie übten rechtspopulistische Parteien durchwegs negativen Einfluss auf klimapolitische Ambitionen aus, wodurch es noch schwieriger wird, internationale Ziele zu erreichen. Als Gastgeberland des richtungsweisenden Erdgipfels im Jahr 1992 stand Brasilien zuvor im Ruf, bei multilateralen Verhandlungen eine führende Rolle bei der Konsensfindung einzunehmen; doch innerhalb weniger Jahre wurde Brasilien zu einem Land, das mit diplomatischer Unbeständigkeit und Umweltzerstörung in Verbindung gebracht wird.

Wenn wir die zunehmend verheerenden Auswirkungen des Klimawandels in den Griff bekommen wollen, muss sich die kollektive Intelligenz gegen populistische Spaltung und Desinformation durchsetzen. Einige Länder machen es bereits vor. In Australien wurde beispielsweise eine konservative Regierung aus dem Amt gewählt, die sich zu einem der hartnäckigsten Klimasünder innerhalb der G20 entwickelt hatte. Und in Slowenien wurde einem populistischen Ministerpräsidenten die zweite Amtszeit verwehrt, als seine Partei der Umweltpartei „Freiheitsbewegung“ unterlag.

Könnte diese Botschaft auch in Brasilien Fuß fassen? Aus jüngsten Umfragen geht hervor, dass 81 Prozent der Menschen in Brasilien möchten, dass sich die Präsidentschaftskandidaten für den Schutz des Amazonas einsetzen und 65 Prozent betrachten derartige Schutzmaßnahmen als bedeutsam für die wirtschaftliche Entwicklung. Über 90 Prozent wissen, dass der Klimawandel im Gange ist und mehr als 75 Prozent führen ihn auf menschliche Aktivitäten zurück.

Wie in vielen anderen Ländern der Welt haben sich auch in Brasilien soziale Bewegungen in einem noch nie dagewesenen Ausmaß organisiert. Gruppen aus dem Amazonasgebiet – insbesondere solche, die traditionelle Gemeinschaften, Frauen und junge Menschen vertreten - spielen dabei eine führende Rolle und andere, darunter auch Akteure aus dem Finanz- und Privatsektor, schließen sich ihnen an.

Bolsonaro steht dem Klimaschutz unterdessen weiterhin ablehnend gegenüber und stellt alle Umweltbelange als unheilvolle Machenschaften undurchsichtiger internationaler Interessen dar. Die Ironie besteht freilich darin, dass sich die heutigen Populisten von der „Antiglobalisierungsfront“ auf ihr eigenes, finanziell bestens ausgestattetes transnationales Netzwerk aus Propagandisten, Spendern und Gesinnungsgenossen verlassen. Wie eine aktuelle Recherche der New York Timeszeigt, leiteten ungarische Energieunternehmen, die vom Verkauf russischen Öls profitierten, enorme Summen an politisch nahestehende Wohltätigkeitsorganisationen, von wo aus sie ihren Weg zu konservativen Sendern und Meinungsbildnern in den Vereinigten Staaten fanden.

Ein von populistischen Prioritäten unterwandertes internationales System wäre für offene Gesellschaften und eine wirksame Klimapolitik eine Katastrophe. Wer an die Wissenschaft, die Kompetenz lokaler Gemeinschaften und die Macht der Diplomatie glaubt, muss sich der Bedrohung bewusst sein. Wird Populismus zur Normalität, bringt er wirksame Klimaschutzmaßnahmen gerade dann zum Scheitern, wenn diese am dringendsten benötigt werden. Das Zeitfenster zur Vermeidung katastrophaler Folgen schließt sich. Klimapolitik ist zur verlockendsten Zielscheibe der Populisten geworden; alle anderen müssen zu den schärfsten Gegnern der Populisten werden.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

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