Mexikos Reformparadox

Manchmal ist keine Reform besser als eine falsche Reform. Das scheint in Mexiko der Fall zu sein, wo vor kurzem neue Steuer- und Wahlgesetze erlassen wurden – aber nicht die, die das Land braucht.

Während die Steuerreform auf der Agenda von Präsident Felipe Calderón im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen im letzten Jahr weit oben stand, suchte man dort die Reform des Wahlrechts vergeblich. Stattdessen wurde diese ihm in einer merkwürdigen und extremen Form des politischen Kuhhandels aufgezwängt.

Oppositionsabgeordnete wollten eine Wahlrechtsreform, aber keine neuen Steuern, die Regierung wollte mehr Einnahmen, aber kein neues Wahlrecht. Beide Seiten haben zum Teil das bekommen, was sie wollten, und Mexiko hat dabei den Kürzeren gezogen.

Neben einer leichten Erhöhung der Benzinsteuer wurde eine alternative Mindeststeuer eingeführt, aber beide wurden so verwässert, dass sie kaum der Rede wert sind. Nach Angaben der Regierung belaufen sich diese neuen Steuern auf gerade einmal 1 % des BIP – eine lächerliche Steigerung für eine Volkswirtschaft mit einem der niedrigsten Steueraufkommen in Lateinamerika.

Unterdessen haben sich die drei Hauptparteien – die Partei der Nationalen Aktion (PAN), die Partei der Institutionellen Revolution (PRI) und die Partei der Demokratischen Revolution (PRD) – zusammengeschlossen, um keine Neulinge in die Wahlarena zu lassen. Sie warfen die Direktoren der mexikanischen Wahlbehörde IFE (Instituto Federal Electoral) hinaus, die im letzten Jahr die Präsidentschaftswahl organisiert hatten; sie stärkten das Verbot für unabhängige Kandidaten; machten es praktisch unmöglich, neue Parteien zu gründen; und sie führten eine Reihe willkürlicher, nahezu stalinistischer Beschränkungen für den Inhalt von Wahlkampfwerbung, Reden und für den Austausch zwischen den Kandidaten ein. All diese Änderungen wurden als Verfassungsänderungen durch den Kongress gepeitscht, was sie von einer Anfechtung vor Gericht ausschließt.

Das einzige positive Merkmal der Reformen – ein Plan, der den Parteien gleiche Radio- und Fernsehsendezeiten während des Wahlkampfs zusichern sollte – wurde durch gravierende Versäumnisse in der Gesetzgebung zunichtegemacht. Angesichts einer fehlenden Regelung zur Fairness der Berichterstattung über die Wahlkampagnen, der offenkundigen Korruption vieler Nachrichtenagenturen und der Nichtexistenz einer Sendung zum Tagesgeschehen im nationalen Fernsehen zur Haupteinschaltzeit errichtet das Verbot, Sendezeit zu kaufen, lediglich eine unüberwindbare Barriere für potenzielle neue politische Konkurrenten.

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Vor diesem Hintergrund sticht die Entlassung der IFE-Direktoren umso krasser hervor. Obwohl der IFE bei der Wahl im letzten Jahr zweifellos in der Öffentlichkeitsarbeit mehrere gravierende Fehler unterlaufen sind, ist sie nach wie vor eine der am meisten respektieren Institutionen Mexikos, die bei Bewertungen der Glaubwürdigkeit regelmäßig doppelt oder sogar dreimal so gut abschneidet wie der Kongress und die drei Parteien. Die IFE führte Mexiko 2006 durch mehrere Krisen, als der Präsidentschaftskandidat der PRD, Andrés Manuel López Obrador, sich weigerte, seine haarscharfe Niederlage hinzunehmen, und seinen Kampf auf die Straße verlagerte.

Nun werden dieselben Leute, die bestätigten, dass die Wahl im letzten Jahr frei und gerecht war und dass Calderón tatsächlich gewonnen hatte, aus genau diesem Grund gefeuert. Ihre Entlassung ist, das ist allen Mexikaner klar, eine Art „Schmiergeld“ an die PRI und die PRD im Austausch gegen Calderóns mickerige Steuerreform. Bismarck hatte Recht, als er meinte, man sollte bei der Herstellung von Gesetzen und Wurst nie genau zuschauen.

Leider handelt es sich bei dem Angriff auf die Autonomie der IFE nicht um ein isoliertes Ereignis in Lateinamerika. Obwohl die unabhängigen Zentralbanken entscheidend dazu beigetragen haben, dass die Region in den letzten beiden Jahrzehnten makroökonomische Stabilität erreichte, werden sie genau wie die Wahlbehörden zunehmend unter Druck gesetzt.

Der venezolanische Präsident Hugo Chávez hat offen vorgeschlagen, die Unabhängigkeit der Zentralbank abzuschaffen, und eine Verfassungsreform unterbreitet, die es ihm erlauben würde, die internationalen Reserven des Landes so einzusetzen, wie er es für richtig hält. Ebenso werden die Wahlbehörden in Venezuela und in Bolivien, Ecuador, Nicaragua und einigen Berichten zufolge in Argentinien mit politisch loyalen Personen besetzt.

Mexiko scheint jetzt bereit zu sein, diesem fragwürdigen Verein beizutreten. Das sollte es nicht tun, und wenn irgendjemand das wissen müsste, dann Calderón. Es ist verständlich, dass er sich von seinem Vorgänger Vicente Fox abheben möchte, dem es nicht gelang, bedeutsame Reformen durch den Kongress zu bringen. Doch ist es nicht zumutbar, dafür ein Heilverfahren vorzuschlagen, das schlimmer ist als die Krankheit.

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