kozulwright3_Nicholas Asfouri_AFP_Getty Images_g20 Nicholas Asfouri/AFP/Getty Images

Rückkehr zur Investitionstätigkeit

GENF – Auf dem G20-Gipfel in Hangzhou (China) im letzten Monat haben die Staats- und Regierungschefs einen ehrgeizigen Plan für eine „neue Ära globalen Wachstums“ skizziert. Aber sie haben dabei ein wichtiges Detail ausgelassen: die Reparatur des Investitionsklimas.

Die herkömmliche Ansicht besagt, dass die Ersparnisse der privaten Haushalte durch effiziente Finanzmärkte zu den Unternehmen fließen, die das Geld am produktivsten einsetzen. Doch in vielen Entwicklungsländern hat ein erleichterter Zugang zu Krediten (bedingt durch unbegrenzte grenzüberschreitende Kapitalflüsse und eine Liberalisierung der Finanzmärkte) trotzdem nicht zu höheren Kreditvergaben für langfristige Investitionen geführt, insbesondere nicht in der produzierenden Industrie.

Investitionsentscheidungen hängen von einer Vielzahl komplexer Faktoren und Eventualitäten ab, und eine Mischung aus öffentlicher und privater Finanzierung ist entscheidend, damit neue Projekte Früchte tragen. In Ostasien, das in den letzten Jahren ein starkes Wachstum und eine rapide Entwicklung erlebt hat, lässt die Politik höhere Unternehmensgewinne nicht nur zu, sondern fördert sogar, solange sie in produktive Investitionen kanalisiert werden. Infolgedessen werden bis zu vier Fünftel der Investitionsausgaben der ostasiatischen Großunternehmen aus Gewinnrücklagen finanziert, während die staatseigenen Finanzinstitute dabei mitgewirkt haben, das Tempo des investitionsgestützten Wachstums aufrechtzuerhalten.

Ein Ungleichgewicht zwischen Gewinnen und Investitionen ist ein Hauptgrund für das heutige gedämpfte Wachstum in den entwickelten und den Entwicklungsländern; sofern diesem nicht begegnet wird, könnte das Ergebnis eine umfassendere Legitimitätskrise für die Unternehmenssteuerung und Wirtschaftslenkung sein.

In den entwickelten Volkswirtschaften ist die Rentabilität der Unternehmen stetig gestiegen. Dies ist teilweise auf Strategien zurückzuführen, die den Aktionären höchste Priorität einräumen und die sich auf kurzfristige Entscheidungen, Maßnahmen zur Kostensenkung und andere von institutionellen Anlegern unterstützte Formen der Finanztechnik konzentrieren. Herkömmliche Strategien des Zurückbehaltens und Investierens werden dabei in unterschiedlichem Maß durch Verschlankungs- und Verteilungsstrategien ersetzt, bei denen Gewinne für höhere Dividenden, Aktienrückkäufe, Fusionen und Übernahmen ausgegeben werden.

In den Entwicklungsländern haben globale Finanzströme am deutlichsten zu gesamtwirtschaftlichen Erschütterungen beigetragen, die die wirtschaftliche Unsicherheit anheizen und den Planungshorizont der Unternehmen in Bezug auf ihre Investitionstätigkeit verkürzen. In letzter Zeit sind zudem bei Unternehmen aus Entwicklungsländern dieselben Strategien zur Unternehmenssteuerung zu verzeichnen wie bei Firmen aus den entwickelten Ländern. Zieht man zur Bewertung die Unternehmensbilanzen außerhalb des Finanzsektors heran, so sind die für Investitionen verwendeten Anteile der Unternehmensgewinne von 1995 bis 2014 gesunken; besonders ausgeprägt war der Rückgang dabei in Brasilien, Malaysia, Südkorea und der Türkei.

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Es gibt in den meisten Entwicklungsländern weniger staatseigene Großunternehmen als in den entwickelten Volkswirtschaften, doch bei den Unternehmen, die in den Entwicklungsländern regelmäßig Dividenden ausschütten, haben sich die Ausschüttungen an die Aktionäre erhöht, obwohl die Rentabilität annähernd gleich geblieben ist. Gleichzeitig erwerben diese Unternehmen Finanzanlagen – manchmal schneller, als sie Schulden aufnehmen –, was nahelegt, dass es ihnen in liberalisierten Finanzmärkten an profitablen langfristigen Anlagechancen und Möglichkeiten für Portfolioinvestitionen fehlt.

Es wäre verfrüht, zu suggerieren, dass die Beziehung zwischen Gewinnen und Investitionen in den Entwicklungsländern zerbrochen sei. Doch war der Trend bei den Investitionen in letzter Zeit trotz flächendeckender Gewinnsteigerungen überall (mit Ausnahme Chinas und Indiens) schwach, und das gilt sogar für die Zeit vor der globalen Finanzkrise von 2008.

Zugleich beeinträchtigt der Finanzkapitalismus die gesamtwirtschaftliche Stabilität überall auf der Welt weiter. So haben etwa in den entwickelten Ländern Programme zur quantitativen Lockerung zu Liquiditätsüberschüssen beigetragen – und damit zu der jüngsten Explosion bei den Unternehmensanleihen in den Schwellenländern. In einer Stichprobe dieser Länder stieg die Verschuldung der Unternehmen außerhalb des Finanzsektors zwischen 2010 und 2014 um durchschnittlich 40%; zudem stieg von 2007 bis 2015 ihre Schuldendienstquote ebenfalls um 40%. Diese Zahlen legen nahe, dass sich eine systemische Bankenkrise anbahnt.

Zudem konzentrieren sich die schuldenfinanzierten Investitionen in hochgradig zyklischen Rohstoffsektoren, die nicht zu einem breite Schichten einbeziehenden, nachhaltigen Wachstum beitragen. Tatsächlich entfallen mehr als zwei Drittel der Gesamtzunahme sowohl von Schulden als auch von Investitionen auf ganze sieben Sektoren: Öl und Gas, Strom, Bau, Industrierohstoffe, Immobilien, Telekommunikation und Bergbau. Dies legt nahe, dass der einfache Zugang zu billigem Geld und einer Finanzierung über Kredite weitgehend an den Hightech-Sektoren vorbeigeht, die am meisten zum Produktivitätswachstum beitragen.

Um diese Trends umzukehren, müssen wir als Erstes den Trend in den Schwellenländern zu stark finanzialisierten Unternehmensstrategien umkehren. Dies erfordert Änderungen bei der Unternehmenssteuerung im Allgemeinen und in den Anreizstrukturen von Nichtfinanzunternehmen, darunter eine bevorzugte steuerliche Behandlung von Gewinnrücklagen und Eigenkapitalfinanzierungen sowie Möglichkeiten zu Sonderabschreibungen auf reinvestierte Gewinne.

Über die Unternehmenssteuerung hinaus müssen wir durch institutionelle und ordnungspolitische Initiativen sowie durch eine vorausschauende Industriepolitik das Gleichgewicht in der Beziehung von Gewinnen und Investitionen wiederherstellen. Dies erfordert eine Reform und Vertiefung des Bankensystems, um ausreichende Kreditkapazitäten für langfristige Investitionen, auch für kleine und mittelgroße Unternehmen, sicherzustellen.

Was das gesamtwirtschaftliche Umfeld angeht, so können die Regierungen die Lage durch öffentliche Investitionen insbesondere in die Infrastruktur verbessern, die die Produktivität steigern und die Rentabilität des privaten Sektors erhöhen. Und schließlich sollte die internationale Gemeinschaft energische Anstrengungen unternehmen, um die Steuervermeidung und die Kapitalflucht zu bekämpfen, die beide die staatliche Einnahmebasis untergraben.

Langfristige Investitionen in das Produktivvermögen sind unverzichtbar, um jenes nachhaltige Wachstum sicherzustellen, das die Entwicklungsländer brauchen. Doch sie werden diese nicht erreichen, wenn sie an einem Umfeld festhalten, das kurzfristige Strategien fördert.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

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