bd45080446f86f0810477200_ve884c.jpg

Ein demokratisches Birma?

TOKYO – Historische Umwälzungen finden oft dann statt, wenn man sie am wenigsten erwartet. Michail Gorbatschows befreiende Politik von glasnost und perestroika in der Sowjetunion erhob sich aus einer der dunkelsten Stunden des Kalten Krieges, als US-Präsident Ronald Reagan die strategische Raketenabwehr voran trieb und die beiden Seiten Stellvertreterkriege in Afghanistan und anderswo führten. Deng Xiaopings wirtschaftliche Öffnung erfolgte 1978 nach der blutigen – und fehlgeschlagenen – chinesischen Invasion in Vietnam. Und der letzte Apartheid-Führer von Südafrika, F. W. de Klerk, wurde zunächst nur als ein weiterer Apologet des Systems betrachtet – und kaum als der Mann, der Nelson Mandela befreien und das Ende der Herrschaft der weißen Minderheit einläuten würde.

Und nun fragt sich die Welt plötzlich, ob Birma (Myanmar) nach sechs Jahrzehnten Militärregierung auf eine echte politische Wandlung zusteuert, die das Land aus seinem bisherigen Status als geächtete Nation befreien könnte. Kann sich Birma, wie Südafrika unter de Klerk, wirklich über ein halbes Jahrhundert selbst gewählter Isolation hinaus erheben? Und können Aung San Suu Kyi, die heldenhafte Oppositionsführerin, und Thein Sein, Birmas neuer Präsident, einen ähnlich geschickten und friedlichen politischen Übergang erreichen wie de Klerk für Südafrika in den frühen 1990ern?

Trotz zweier Jahrzehnte von Hausarrest und Isolation besitzt Suu Kyi zwei der Fähigkeiten, die damals Mandela bei seiner großen Aufgabe geholfen haben: eine beruhigende Heiterkeit und ein völliges Fehlen von Rachsucht. Im Zuge der versuchten Reformen werden diese Eigenschaften, gemeinsam mit ihrem Verhandlungsgeschick und vor allem ihrer enormen moralischen Autorität, geprüft werden wie nie zuvor.

https://prosyn.org/nHDzMDmde