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Die multilateralen Entwicklungsbanken, die die Welt braucht

CAMBRIDGE, MASS.: Die Welt steht in diesem Sommer buchstäblich in Flammen. Fachleute schätzen, dass das Auftreten einer weiteren Bedrohung für die öffentliche Gesundheit auf dem Niveau von COVID-19 innerhalb der nächsten Generation wahrscheinlich ist. Steigende Zinsen haben die Schuldenbelastung für dutzende von Ländern untragbar werden lassen. Und erstmals in nahezu einem halben Jahrhundert zersplittert die Weltwirtschaft, statt zusammenzukommen.

Diese Realitäten haben die Empfehlungen, die wir der G20 gerade im Rahmen einer speziellen Expertengruppe für Entwicklungsfinanzierung (deren gemeinsame Vorsitzende wir sind) vorgelegt haben, entscheidend beeinflusst. Unser zentrales Fazit ist, dass dieser unvergleichlich schwierige Moment eine drastische Umstellung des operativen Geschäfts der multilateralen Entwicklungsbanken erfordert, angefangen mit der Weltbank. Während sich die Entwicklungsländer einem viel größeren Finanzierungsbedarf ausgesetzt sehen, um Entwicklungs- und Klimaziele zu erreichen, haben die Ausreichungen der multilateralen Entwicklungsbanken nicht Schritt gehalten. Das Niveau, auf dem sie Gelder an die Entwicklungsländer überweisen, ist unannehmbar niedrig.

Während sich die meisten Institutionen die meiste Zeit über um eine allmähliche Stärkung ihres Maßstabs und Wirkungsgrades bemühen, treten die multilateralen Entwicklungsbanken auf der Stelle. Es muss Schluss sein mit den sterilen Debatten, ob wir mehr Geld oder eine bessere Politik brauchen, mehr Initiativen zum Schutz der Umwelt oder mehr Entwicklungsausgaben, mehr Programme des öffentlichen Sektors oder mehr private Kredite, mehr Fremd- oder mehr Eigenkapital. Der Sprachgebrauch des „Sowohl-als-auch“ muss den des „Entweder-oder“ ersetzen. Daher sprechen wir uns für Maßnahmen an drei Fronten aus.

Erstens sollten die multilateralen Entwicklungsbanken ein dreifaches Mandat übernehmen, indem sie ihre aktuellen Ziele der Beseitigung äußerster Armut und der Förderung gemeinsamen Wohlstands um das Ziel globaler öffentlicher Güter ergänzen. Das bedeutet, die zur Integration ihrer Klima- und Entwicklungsagenden erforderlichen Richtlinien und Verfahren substanziell auszuweiten. Eine klare Ausformulierung dieser Ziele und ein förmliches Bekenntnis zu ihnen werden die multilateralen Entwicklungsbanken in die Lage versetzen, ihre Programme in Bezug auf globale öffentliche Güter (wie Klimaschutz und -anpassung, Artenvielfalt, Sicherheit der Wasserversorgung und Pandemiebereitschaft) besser zu konzipieren und umzusetzen, und das schnell und im erforderlichen Maßstab.

Zweitens sollten die beteiligten Stakeholder die multilateralen Banken mit den erforderlichen Mitteln ausstatten. Nach unseren Berechnungen muss sich die nachhaltige Kreditvergabe der multilateralen Entwicklungsbanken bis 2030 auf etwa 400 Milliarden Dollar jährlich verdreifachen. Dies schließt Zuschüsse und verbilligte Kredite an die ärmsten Länder, Finanzierungsmaßnahmen ohne Vorzugsbedingungen gegenüber kreditwürdigen Ländern mittleren Einkommens und Mittel zur Mobilisierung privater Finanzierungen ein.

Eine Spitzenpriorität ist es, die Geber zu überreden, den einkommensschwachen Ländern zusätzliche 30 Milliarden Dollar jährlich an Zuschüssen und Vorzugskrediten zur Verfügung zu stellen, um eine Verdreifachung der Finanzausstattung der Internationalen Entwicklungsorganisation zu ermöglichen. Diese ist unverzichtbar, um den einkommensschwachen Ländern zu helfen, ihre Entwicklungsziele zu erreichen, globale Erschütterungen zu bewältigen und im Rahmen tragfähiger Kreditrahmen solide Anpassungs- und Resilienzplanungen zu verfolgen. Es würde zudem die Sorgen der einkommensschwachen Länder verringern, dass eine Ausweitung des Mandats der multilateralen Entwicklungsbanken zulasten der Unterstützung gehen würde, die sie für ihre wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung brauchen.

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Was die Länder mittleren Einkommens angeht, so lässt sich rund die Hälfte der Summe, die zur Verdreifachung des Kreditniveaus erforderlich ist, von den multilateralen Entwicklungsbanken selbst durch effizientere Nutzung ihres bestehenden Kapitals aufbringen. Die andere Hälfte jedoch wird eine neue Runde allgemeiner Kapitalerhöhungen erfordern. Zum Glück erfordert dieser Mechanismus, dass die Geber nur ein paar Cent pro Dollar zuschießen. Dies stellt ein hervorragendes Kosten-Nutzen-Verhältnis dar: Jeder Geberdollar könnte sieben Dollar an neuen staatlichen Kreditvergaben und weitere acht Dollar an direkt und indirekt mobilisiertem privaten Kapital erschließen.

Doch selbst bei einer deutlichen Ausweitung der Kreditvergabe der multilateralen Entwicklungsbanken wird die offizielle Unterstützung weit hinter dem Bedarf zurückbleiben. Diese Lücke muss durch privates Kapital geschlossen werden. Die gute Nachricht ist, dass die meisten multilateralen Entwicklungsbanken über Abteilungen verfügen, die darauf ausgerichtet sind, private Finanzierungsaktivitäten in einem breiten Spektrum von Sektoren in Gang zu setzen, darunter im Energiesektor, im Gesundheitssektor, bei der Finanzinklusion und im Bereich der Infrastruktur.

Die schlechte Nachricht ist, dass ihre bisherige Bilanz enttäuschend ausfällt: Im Schnitt nutzen die multilateralen Entwicklungsbanken lediglich 60 Cents an privatem Kapital pro jedem von ihnen selbst bewilligten Dollar. Das liegt deutlich unter dem, was möglich ist. In den letzen sechs Jahren stagnierte ihre gemeinsame direkte und indirekte Mobilisierung privater Finanzmittel bei 60–70 Milliarden Dollar jährlich.

Man stelle dieser Summe die halbe Billion Dollar gegenüber, die der private Sektor beisteuern muss, um die Finanzlücken zu füllen. Die multilateralen Entwicklungsbanken sollten sich das Ziel setzen, ihre Mobilisierungs- und Bewilligungsquoten mindestens zu verdoppeln. Dazu müssen sie zentrale Herausforderungen wie lokale Währungsrisiken, politische und regulatorische Risiken, einen Mangel an bankfähigen Projekten und unzureichendes Risikokapital in Angriff nehmen. Vor allem anderen wird eine stärkere Risikobereitschaft seitens der multilateralen Entwicklungsbanken erfolgsentscheidend sein.

Drittens sollte eine Koalition von Finanzierern (u. a. Regierungen, philanthropischen Einrichtungen und dem privaten Sektor) einen neuen „Mechanismus zur Bewältigung globaler Herausforderungen“ ins Leben rufen, der ein breites Spektrum von Finanzierungsoptionen umfasst, z. B. Bürgschaften, Eigenkapital und andere Instrumente zur Risikostreuung. Dies ist erforderlich, um einem allgegenwärtigen Manko aufseiten der multilateralen Entwicklungsbanken zu begegnen: der unzureichenden Nutzung von über die reine Kreditvergabe hinausgehenden Instrumenten (wie Bürgschaften) für staatliche und nicht-staatliche Kreditnehmer. Derartige Instrumente sind im heutigen volatilen Wirtschaftsklima von besonderer Relevanz.

Die multilateralen Entwicklungsbanken sind die richtigen Werkzeuge zur Unterstützung unseres Planeten und seiner Menschen. Sie allein verfügen über die notwendige Kombination aus Expertenwissen, Durchhaltevermögen, preiswerter Finanzierung, Fremdkapital und Fähigkeiten zum Wissensaustausch. Doch um Hilfe bei der künftigen Entwicklung der Entwicklungsländer zu leisten, müssen sich die multilateralen Entwicklungsbanken zunächst einmal selbst reformieren. Das bedeutet, dass sie eine umfassende Kultur der Veränderungen übernehmen müssen, um kundenorientierter zu werden und besser gemeinsam zu agieren – auch durch gemeinsame Finanzierungen, Risikoübernahme und Normensetzung.

Uns ist bewusst, dass die Umsetzung der von uns vorgeschlagenen Agenda politische Führungsstärke und Durchhaltevermögen erfordert. Doch sei darauf hingewiesen, dass wir keine andere Alternative haben. Die Zukunft unseres Planeten und seiner Menschen steht auf dem Spiel

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/glCHEtrde