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Amerikas frustrierende Suche nach einer weichen wirtschaftlichen Landung

WASHINGTON, DC ‑ Im ersten Quartal 2024 wuchs das BIP in den USA mit einer Jahresrate von 1,6 % ‑ fast einen Prozentpunkt langsamer als erwartet. Gleichzeitig blieb die Kerninflation höher als erwartet. Die Verbraucherpreise (ohne Energie und Lebensmittel) stiegen mit einer Jahresrate von 3,7 %, gegenüber 2 % im vierten Quartal 2023.

Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts fallen die Aktienkurse und die Anleiherenditen steigen, da die US-Notenbank für 2024 nur eine Zinssenkung erwartet. Dies ist eine bemerkenswerte Veränderung gegenüber Ende 2023, als die Märkte davon ausgingen, dass die Fed die Zinsen im Jahr 2024 sechsmal senken würde. Im ersten Quartal dieses Jahres reduzierten die Anleger ihre Wetten auf Zinssenkungen, da sie davon ausgingen, dass das starke Wachstum und die stabilere Inflation anhalten würden. Jetzt gibt es Anzeichen für eine Verlangsamung des Wachstums und eine hohe Inflation, eine Kombination, die einige Anleger und Analysten dazu veranlasst hat, vor einer Stagflation zu warnen.

Wie ist das zu interpretieren? Befindet sich die US-Wirtschaft weiterhin im Aufschwung? Oder müssen wir uns Sorgen machen über eine Phase langsamen Wachstums und hoher Inflation?

Eine genauere Betrachtung des saisonbereinigten BIP-Wachstums zeigt, dass die Wirtschaft im ersten Quartal dieses Jahres tatsächlich stark war. Mehrere volatile Faktoren haben die Gesamtzahl nach unten gezogen: die Importe überstiegen die Exporte, die Veränderung der Lagerbestände gegenüber dem Vorquartal und ein geringerer Anstieg der Staatsausgaben als im Vorjahr.

Das Herzstück der US-Wirtschaft sind jedoch die Verbraucherausgaben, die seit 2021 über dem Trend vor der Pandemie liegen und nach meinen Berechnungen im letzten Quartal um etwa 1 % höher waren als in den Prognosen vor der Pandemie angenommen. Im Jahresvergleich wuchsen die realen Verbraucherausgaben im letzten Quartal mit einer Jahresrate von 2,4 % und weisen keinen Abwärtstrend auf.

Die starken Gesamtausgaben der Verbraucher werden zum Teil durch Vermögenszuwächse angetrieben, die die Auswirkungen höherer Zinsen überlagern. Seit der Sitzung des Zinsausschusses der Fed im November ist der S&P 500 um 20 % gestiegen. Steigende Immobilienpreise und das Gefühl vieler Hausbesitzer, im Lotto gewonnen zu haben, weil sie sich vor 2022 niedrige Hypothekenzinsen gesichert haben, sorgen für zusätzlichen Auftrieb.

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Die robusten Ausgaben der privaten Haushalte verlangsamen den Prozess, der die Nachfrage nach Arbeitskräften wieder mit dem Angebot an Arbeitskräften ins Gleichgewicht bringt. Im ersten Quartal 2024 kamen auf jeden Arbeitslosen 1,4 offene Stellen, und die Arbeitslosenquote lag unter 4 %. Die Anspannung am Arbeitsmarkt führt zu einem raschen Lohnwachstum: Die Löhne stiegen im letzten Quartal in einem Tempo, das nicht mit dem Inflationsziel der Fed von 2 % vereinbar ist. Diese Daten stützen die Ansicht, dass die Wirtschaft stärker ist, als die Gesamtwachstumsrate des BIP vermuten lässt.

Wie können die finanziellen Bedingungen so locker, die Verbraucherausgaben so lebhaft und der Arbeitsmarkt so angespannt sein, wenn der Leitzins in den letzten 12 Monaten bei über 5 % lag?

Das ist weniger rätselhaft, als es auf den ersten Blick scheint. Betrachtet man die Entwicklung über einen längeren Zeitraum, so wird deutlich, dass die höheren Zinsen die Konjunktur gebremst haben. Die Fed hat vor 25 Monaten begonnen, die Zinsen zu erhöhen. Im Jahr 2021 verzeichnete die Wirtschaft einen monatlichen Nettozuwachs von rund 600.000 neuen Arbeitsplätzen; 2022 waren es nur noch 400.000 und 2023 sogar nur noch rund 225.000. Auch die Kerninflation ist von rund 5,5 % Anfang 2022 auf heute rund 3 % gesunken.

Aber auch wenn ein Leitzins von 5,3 % ausreicht, um die Wirtschaft im Jahr 2022 von ihrem glühend-heißen Zustand abzukühlen, ist er wahrscheinlich nicht so restriktiv, wie viele Ökonomen glauben oder wie er vor der Pandemie gewesen wäre. Auch wenn die Mitglieder des Zinsausschusses der Fed den so genannten „neutralen Zinssatz“ bei etwa 2,6 % sehen, also bei etwa der Hälfte des aktuellen Leitzinses, ist er mit ziemlicher Sicherheit gestiegen, wahrscheinlich sogar deutlich. Das bedeutet, dass die Geldpolitik weniger restriktiv ist, als es den Anschein hat.

Wie ich bereits Anfang März geschrieben habe, ist die Wirtschaft noch nicht gelandet. Der BIP-Bericht für das erste Quartal, der zeigt, dass die Verbraucherausgaben weiterhin stark sind, bestätigt diese Einschätzung. Darüber hinaus war eine weiche Landung zwar noch möglich, aber nie wahrscheinlich, und sie scheint immer unwahrscheinlicher zu werden. Die Fed wird gezwungen sein, die Zinsen noch länger hoch zu halten; die erste Zinssenkung wird wohl frühestens im November erfolgen.

Die derzeitigen Zinssätze sind zwar nicht restriktiv genug, um die Kerninflation rasch auf das Ziel der Fed zurückzuführen, aber sie sind hoch genug, um Risse in der Wirtschaft zu verursachen. Die Zahlungsrückstände einkommensschwacher Kreditnehmer sind hoch und nehmen weiter zu, und das jährliche Wachstum der Kernaufträge für Investitionsgüter liegt nahe bei 0 %.

Mit der Normalisierung der Wirtschaft nach der Pandemie kehren auch die normalen Wirtschaftsbeziehungen zurück. Dies bedeutet, dass zur Bekämpfung der Inflation wahrscheinlich ein Anstieg der Arbeitslosenquote erforderlich sein wird, die bereits etwa 40 Basispunkte über ihrem Tiefststand nach der Pandemie liegt.

Die Wirtschaft boomt, und die Geldpolitik ist unzureichend restriktiv. Die Aussicht, dass zur Eindämmung des Preisdrucks ein leichter Abschwung erforderlich sein könnte, ist besorgniserregender als eine Stagflation.

Deutsch von Andreas Hubig

https://prosyn.org/PT3crADde