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Deutschlands “Stunde Null” – Damals und heute

BERLIN – Von den 83 Millionen Einwohnern Deutschlands sind etwas mehr als zwei Millionen über 85 Jahre alt und haben so zumindest einige der Gräueltaten des Nationalsozialismus und Zweiten Weltkriegs miterlebt. Zum 75. Jahrestag des Kriegsendes stellt sich für nachdenkliche Deutsche die Frage, was passieren wird, wenn diese letzten Zeugen der Schrecken und Leiden der Nazizeit – der brutalsten zwölf Jahre der Menschheitsgeschichte – für immer verschwunden sind.

Sicherlich ist diese Frage nicht neu. Bereits in den 1970er Jahren warnte Herbert Wehner, der langjährige Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, in leidenschaftlichen Reden vor dem Deutschen Bundestag davor, dass mit dem Tod derjenigen, die sich an das Abgleiten in die Diktatur Adolf Hitlers und den dafür gezahlten Preis erinnern, die Verteidigung der Demokratie schwieriger werden würde.

Diese Sorge ist mit jeder nachfolgenden Generation gewachsen. In Anbetracht des Verschwindens des unmittelbaren historischen Gedächtnisses hat Samuel Salzborn von der Universität Gießen in einem leidenschaftlichen Essay die Befürchtung geäußert, dass der Begriff der kollektiven Verantwortung wieder der vorsätzlichen Ignoranz und „kollektiven Unschuld“ anheimfallen könnte.

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