broning11_LIONEL BONAVENTUREAFP via Getty Images_young voters far-right LIONEL BONAVENTURE/AFP via Getty Images

Tendieren die Kids nach rechts?

NEW YORK – Jahrzehntelang galt die Linksneigung junger Leute als ein eisernes Gesetz der Politik. „Wer mit 40 kein Konservativer ist, hat kein Hirn“, lautet ein vermutlich zu Unrecht Winston Churchill zugeschriebenes Zitat, „aber wer mit 20 kein Linker ist, hat kein Herz.“ Von John F. Kennedy, Bill Clinton und Tony Blair bis hin zu Barack Obama und Jacinda Ardern haben die führenden Akteure der Linken ihre politischen Karrieren regelmäßig auf dem Versprechen eines jugendlichen Progressivismus aufgebaut.

Dieses Muster ist kulturell derart tief verwurzelt, dass es weitgehend als selbstverständlich betrachtet wird. Doch legen die Wahlergebnisse in vielen westlichen Demokratien in letzter Zeit eine deutlich andere Dynamik nahe. In der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen in diesem Monat erzielte Emmanuel Macron (27,85 %) nur einen sehr knappen Sieg über die Rechtspopulistin Marine Le Pen (23,15 %). Sein Erfolg beruhte nicht so sehr auf der Leidenschaft der jungen als auf der Vorsicht – und Besorgtheit – der älteren Wähler.

Wahlanalysen zeigen, dass Macron nur in einer Altersgruppe deutlich vorn lag: bei den Wählern ab 65. In der Altersgruppe von 25-49 lag Le Pen vor ihm. Und während der weit links stehende Kandidat Jean-Luc Mélenchon etwas mehr als ein Drittel der Jungwählerstimmen auf sich vereinen konnte, erhielten Le Pen und der andere rechtsextreme Kandidat, Éric Zemmour, zusammen die Unterstützung von beispiellosen 22 % der Erstwähler. Bei den Wählern zwischen 25 und 34 Jahren stieg die Unterstützung für die extreme Rechte auf über 35 %. In Frankreich, so scheint es, sind die Kids nicht d’accord.

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